■ Daumenkino: Butterfly Kiss
Meine kränkendste Drei für einen Deutschaufsatz habe ich mir damit eingehandelt, daß ich lernzielwidrig das muntere Peer-Group-Geplappere eines Sprechprotokolls als äußerst elaboriert identifiziert hatte. Seither bin ich mißtrauisch. Vor allem bei lesbischen Liebesfilmen, von denen derzeit gleich zwei im Kino zu sehen sind. Patricia Rozema will uns in When Night is Falling (siehe taz, 29. Juni) davon überzeugen, daß Lesbischsein etwas sehr Sanftes und überhaupt ziemlich unwiderstehlich ist. Mit ein bißchen Glück kann eine lesbische Erweckung sogar den toten Lieblingshund wieder lebendig machen – wahre Liebe, lebensrettend eben.
Das ist in Butterfly Kiss von Michael Winterbottom, der im Forums-Programm der diesjährigen Berlinale lief, entschieden anders. Hier ist die wahre Liebe tödlich. Hier rasseln Ketten und spritzt Blut, und die irre Eunice stapft mit ihrem kindlich-sanften Anhängsel Miriam äußerst entschlossen durch eine durchaus angenehm verwirrende Geschichte. Nix Weichzeichner, dafür echt dreckige Fingernägel, deprimierende Wohnungen und Straßen, dicke Menschen in häßlichen Klamotten und jede Menge Flüche. Von Miriam ist man gerührt, über Eunice kann man lachen. Besser als dieser weichgezeichnete Kitsch ist das auf jeden Fall. Aber Rumpeln allein genügt eben doch nicht. Denn in dieser stilistischen Melange aus Trash, Sozialdrama und Psychogramm scheppert es schwer vor schwerster Symbolik.
Eunice (Amanda Plummer) sucht Judith. Auf englischen Autobahnen, immer geradeaus. Ihren tätowierten Körper hat sie mit Ketten verschnürt, ihre Brustwarzen durchbohrt. „Ich verdiene Schmerzen“, sagt sie. Gelegentlich fragt sie diverse weibliche Tankstellenangestellte, ob sie Judith seien. Weil sie es nie sind, bringt sie sie um. Und nicht nur die. Miriam (hervorragend: Saskia Reeves) – von freundlich- verkümmerter Kindlichkeit – hat nichts gesehen von der Welt und so jemanden wie Eunice schon gar nicht. Eunice küßt sie, die sich an keinen Kuß erinnern kann. Also hängt sie sich an sie. Will sie begleiten auf ihrer Suche und mit unerschütterlichem Glauben bekehren. „Du kannst das Gute nicht ohne das Schlechte haben“, wird sie später altklug sagen. Und wird freiwillig zu Eunices Komplizin, als sie deren letztes Opfer im Wald vergräbt – wie ein Kind, das im Sandkasten spielt. Alles weitere ist ein Hin und Her zwischen Ziellauf und Flucht, Verletzen und Trösten, Hassen und Vertrauen. Was vielleicht gar nicht schlecht anzuschauen gewesen wäre, wenn es nicht dauernd so furchtbar SM- mäßig um Erlösung ginge. Und das Schlußbild dann doch wieder eine Pieta ist. Barbara Häusler
„Butterfly Kiss“. Regie: Michael Winterbottom, Buch: Frank Cottrell Boyce. Mit Amanda Plummer, Saskia Reeves u.a., GB 1994, 88 Min.
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