■ Daumenkino: Lateinamerikanische Wiedergeburt
Das lateinamerikanische Kino ist wieder da. Das zeigte sich nicht nur bei der Berlinale, wo Walter Salles für seinen Film „Central do Brasil“ den Goldenen Bären erhielt. Beim 12. Festivals „Les films du Sud“ im westschweizerischen Fribourg wurden unter 70 Filmen aus 31 Ländern der südlichen Hemisphäre gleich vier Filme aus Lateinamerika ausgezeichnet. Zwei Erstlingswerke junger Regisseure aus Mexiko und Argentinien und zwei Filme gestandener Cineasten: „Martin (Hache)“ („Martin, Junior“) vom Argentinier Adolfo Aristarain und „A ostra e o vento“ („Die Auster und der Wind“) des Brasilianers Walter Lima. „Quién diablos es Juliette?“ („Wer zum Teufel ist Juliette?“) von Carlos Marcovich, Mexiko, und „Pizza, birra y faso“ („Pizza, Bier und Zigarretten“) von Bruno Stagnaro und Adrián Caetano, Argentinien, heißen die beiden Werke, die Publikum und Jury gleichermaßen begeisterten. Während die beiden 24 und 28 Jahre alten Argentinier mit „Pizza, birra y faso“ eine Low-Budget-Produktion über das Leben vier jugendlicher Kleinkrimineller im Buenos Aires der neoliberalen Gegenwart, „in einem System, das Junge wie sie jeglicher Perspektiven beraubt hat“, vorlegten, stellte der 34jährige Mexikaner Marcovich in „Quién diablos es Juliette?“ mit inhaltlicher wie formaler Radikalität das Leben der jungen kubanischen Prostituierten Juliette in Havanna dem des mexikanischen Mannequins Fabiola in New York gegenüber.
Obgleich er stilistisch recht konventionell blieb, orientierte sich „Pizza, birra y faso“ offensichtlich an den Filmen des italienischen Neorealismus, die Kritiker verglichen ihn daher mit „Deprisa, deprisa“ von Carlos Saura, oder gar „Los olvidados“ von Luis Buñuel. Marcovichs Film funktionierte dagegen als eine Art „fiktionaler Dokumentar-Video-Clip“. Mit ironischer Leichtigkeit nahm der bisherige Kameramann (bei Jorge Fons, dessen „Straße der Wunder“ vor drei Jahren ebenfalls auf der Berlinale reüssierte) die verschiedenen Genres auf die Schippe und parodierte sich bisweilen selbst. Zudem griff er mit dem Thema der Vatersuche ein aktuelles Thema auf, das in diversen Filmen des diesjährigen Fribourger Festivals auftauchte.
Vielleicht ist es noch zu früh, von einer neuen Generation lateinamerikanischer Cineasten zu sprechen, immerhin darf man hoffen, daß sich das lateinamerikanische Kino weiterentwickelt wie in Fribourg demonstriert. Gleiches gilt für das Festival selbst: „Fribourg“ mit seinem rührigen Direktor Martial Knaebel ist mittlerweile europaweit neben dem französischen Nantes das bedeutendste Festival für Filme aus Ländern des Südens geworden. Trotz traumhafter Zuwachsraten bei den Publikumszahlen – fast 50 Prozent mehr als im Vorjahr – kämpft es mit gravierenden Finanzproblemen. Geri Krebs
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