: Datenkomposter
Kommt er noch in diesem Jahr, der Online-Dienst des Bertelsmann-Konzerns? ■ Aus Köln Tilman Baumgärtel
Am Netze hängt, zum Netze drängt bald alles: Bertelsmann, der größte deutsche Medienkonzern, hat am Samstag bei der Kölner Musikmesse PopKomm angekündigt, daß die Gütersloher „noch in diesem Jahr“ einen eigenen Online-Dienst anbieten wollen. Der Dienst, der vorläufig unter dem Arbeitstitel Bertelsmann-Online firmiert, will außer einer Vielzahl eigener Informations- und Unterhaltungsangebote auch einen kostenlosen Übergang in das internationale Computernetzwerk Internet anbieten.
Bertelsmann-Online, ein Joint- venture mit dem US-amerikanischen Online-Marktführer America-Online (AOL), will bei seinem Start 50 Einwählknoten in den deutschen Großstädten anbieten. Wie Bertelsmann-Online-Geschäftsführer Bernd Schiphorst – früher beim Flop-Fernsehsender Vox in Köln –, mitteilte, gibt es zur Zeit in Gütersloh und Hamburg Einwählknoten, ab morgen werde es auch welche in Berlin und München geben. Über diese Einwählknoten können sich schon jetzt Computerbesitzer zum Ortstarif in eine Testversion von Bertelsmann- Online einwählen. Eine sogenannte „Betaversion“ der Software verschickt das Unternehmen an „Feldtester“, die bis auf weiteres umsonst im Angebot des Dienstes browsen, herumschnüffeln, können. 733 Feldtester versuchen zur Zeit ihr Glück mit dem neuen Dienst.
Kommerzielle US-amerikanische Online-Dienste wie Compuserve, America-Online und Prodigy bieten schon seit über zehn Jahren in den USA ihren Nutzern Zugang zu den verschiedensten Angeboten: Ihre AbonnentInnen können digitale Bibliotheken und Nachschlagewerke benutzen, in Diskussionsforen über O. J. Simpson, Radfahren oder das neue Windows chatten und zunehmend auch Angebote von traditionellen Printmedien abrufen – für den Medienkonzern Bertelsmann, dem u.a. Zeitschriften wie Stern und Geo gehören, eine interessante Methode der Zweitverwertung seines gedruckten Materials.
Auch der Kommerzsender RTL, an dem Bertelsmann beteiligt ist, wird bei der Berliner Funkausstellung in der kommenden Woche bekanntgeben, daß der Sender ein Homepage im World Wide Web (WWW) anbieten will. „Content-Providing“, das heißt, etablierte Medien liefern Inhalte, die online recycelt werden.
Auch für die User hat ein Anschluß an ein Computernetz Vorteile: PC-Besitzer, die ihren Rechner mit einem Modem ans Telefonnetz angeschlossen haben, können Informationen und Unterhaltungsangebote abrufen, Software „downloaden“ und per e-mail Elektropost versenden.
In den letzten Monaten sind immer mehr kommerzielle Online- Dienste dazu übergegangen, ihren Abonnenten auch ein sogenanntes gateway ins nichtkommerzielle Internet anzubieten. Compuserve offeriert in Deutschland seit dem Frühjahr „Internet-Access“; bei der Funkausstellung wird auch Datex-J, der Online-Service der Telekom, ein „Gateway“ ins Internet, die „Mutter aller Netze“, öffnen.
Anders als bei Compuserve, die schon länger in Deutschland aggressiv Kunden werben, muß man bei Bertelsmann-Online keine Extragebühren für den Internet-Zugang bezahlen. Obwohl die Gebührenstruktur noch nicht feststeht, soll die stündliche Benutzungsgebühr bei Bertelsmann-Online nicht mehr als 5 Mark betragen – egal welchen Service man nutzt oder ob man ins Internet geht.
Das Internet hat in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg seiner User verzeichnen können. Seit Einführung des World Wide Web, einer leicht zu navigierenden graphischen Oberfläche für das Internet, wagen sich immer mehr Computer-Laien ins Internet, das bis vor einem Jahr die Domäne von akademischen Computerfreaks war. Sie nerven die angestammte Internet-Community, die sich plötzlich von einer Invasion von Internet-Analphabeten terrorisiert fühlt.
Besonders die Abonnenten von America-Online, dem US-amerikanischen Unternehmen, mit dem Bertelsmann kooperiert, sind im Internet unbeliebt. Wer „aol“, das Kürzel für America-Online in seiner e-mail-Adresse hat, wird in Newsgroups-Diskussionen gerne ignoriert; wer gar dumme Fragen stellt, kriegt flames – der Internet- Ausdruck für ein Bombardement mit beleidigender e-mail. Trotz des lädierten Images von AOL glaubt Schiphorst, daß America-Online und sein eigener Dienst „die Erfolgsstory der 90er“ werden könnten.
Die Konkurrenz schläft freilich nicht: Der Burda-Verlag hat mit Europe-Online einen weiteren Online-Dienst angekündigt. Und in der Computer-Software Windows 95, die in diesen Tagen ausgeliefert wird, ist ein Internet-Anschluß fest installiert.
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