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Das weitverzweigte Kontaktnetz eines Neonazis

■ Die Hinterlassenschaft des Neonazi-Führers Kühnen gibt Einblick in das Netz rechtsextremer Aktivitäten im In- und Ausland

Das Notizbuch des im April letzten Jahres an Aids gestorbenen deutschen Neonazi-Führers Michael Kühnen und der Verteiler der Kühnen-Postille Neue Front — W ergeben zusammen mit der Mitgliederliste der Deutschen Alternative (DA) und einer von Kühnen erfolgten Zusammenstellung von Postadressen einen Eindruck über das weitverzweigte Kontaktnetz des Nazichefs. Trotz der Rivalitäten und Streitigkeiten innerhalb der Szene, ausgelöst unter anderem durch Auseinandersetzungen über die Frage der Homosexualität, finden sich in den Adressen die Namen aller führenden Rechtsextremisten aus dem In- und Ausland. Insbesondere die vollständige Mitgliederliste der DA bis zur Mitgliedsnummer 381 (Stand: März 1991) enthüllt den nationalsozialistischen Charakter dieser Gruppierung, die sich mit rund 700 Mitgliedern zur stärksten rechtsextremen Organisation in den neuen Bundesländern gemausert hat. In dem von Kühnen Ende Januar 1990 verfaßten „Aufbauplan Ost“ bekommt die im Mai 1989 gegründete DA die Rolle einer „Massenorganisation“ zugewiesen in Ergänzung zur Kaderorganisation, der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front-W“. Die DA-Aktivisten bemühten sich seither, das Bild einer moderaten „nationalen Protestpartei“ aufrechtzuerhalten. In welcher Tradition sich die DA versteht, läßt sich aber unschwer aus den Traditions- und Ehrenmitgliedern ersehen. Adolf Hitler, Rudolf Hess, Ernst Röhm und Joseph Goebbels werden auf der Mitgliederliste als „Traditionsnummern“ geführt. Zu den Ehrenmitgliedern zählen der Berliner NSDAP-AO-Aktivist Arnulf Priem und Ed Wolsink (s.o.) — die Schalt- und Schnittstelle der deutschen mit der internationalen Szene.

Von den über 300 in Kühnens Notizbuch aufgeführten Adressen und Telefonnummern stammen 34 aus Langen und Umgebung. Ein Zeichen dafür, wie stark Kühnen in der hessischen Kleinstadt verankert war, die er zur „ersten ausländerfreien Stadt“ machen wollte. Auf Kühnens internationale Aktivitäten deuten die Auslandsadressen im 235 Adressen umfassenden Verteiler der Neuen Front-W hin. Dort findet sich die Adresse der spanischen rechtsextremen Organisation CEDADE (Barcelona) ebenso wie die Postfachadressen der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) in Linz und der NSDAP-AO in Lincoln/Nebraska sowie Adressen aus Kanada, der Schweiz, Belgien, Niederlande, Spanien, Italien, Australien und Finnland. Unter den 360 Postadressen befinden sich Untergliederungen der NPD, DVU, „Republikaner“ (zum Beispiel die Privatadresse des derzeitigen Hamburger REP-Chefs Werner Jamrowski), von Vertriebenenorganisationen wie dem Witikobund, aber auch die Privatadresse des auf sein konservatives Renommee bedachten Publizisten Gerd Klaus Kaltenbrunner. Karl Kropotnik

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