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■ Markus Wolf über „Carlos'“ Aufenthalt in der DDR„Das war eine richtige Wildkatze“

Zu der Zeit, als Carlos und einige Mitglieder des „harten Kerns“ seiner Truppe, vor allem Johannes Weinrich, sein getreuer Leutnant, sich in Ost-Berlin aufhielten, war Markus Wolf Chef der Hauptabteilung Aufklärung (HV A) und in dieser Eigenschaft einer der Stellvertreter des Stasi-Ministers Mielke. Wolf besteht darauf, daß er als Verantwortlicher für die Auslandsspionage niemals unmittelbar mit dem operativen Vorgang „Separat“ (Codename der Stasi für den Carlos-Komplex) zu tun gehabt habe. Tatsächlich war es die Mielke direkt unterstellte Abteilung XXII, die Carlos „bearbeitete“. Markus Wolf war aber nicht nur via interne Kanäle der Stasi über alle Carlos betreffenden Vorgänge informiert, ihm standen auch eigene Quellen zur Verfügung – insbesondere seine Agenten, die arabische politische Kreise im Ausland infiltriert hatten, aber auch dank der offiziellen Beziehungen, die die HV A mit den Geheimdiensten verschiedener „Bruderländer“ Osteuropas, des Nahen Ostens und Lateinamerikas unterhielt.

Maurice Najman: Wie haben Sie von der Anwesenheit Carlos' in Berlin erfahren?

Markus Wolf: Er ist bei uns mit einem arabischen Diplomatenpaß – einem syrischen, wenn ich mich recht erinnere – eingereist. Dank Informationen von arabischer Seite waren wir auf dem laufenden, wer der Neuankömmling war. Damals, 1979, waren wir auf dem Gebiet des Terrorismus relativ schlecht ausgerüstet. Mielke hatte für dieses Gebiet Anfang der 70er Jahre eine kleine Einheit unter dem Kommando seiner rechten Hand, des Generals Beater, aufgestellt. Einige Jahre später ist daraus eine ganze Abteilung geworden.

Was waren die Aufgaben dieser von der Stasi als „konterterroristisch“ bezeichneten Truppe?

Sie sollte das Milieu erkunden, Informanten rekrutieren, Führungsoffiziere ausbilden etc. 800 Männer und Frauen arbeiteten ständig in der Abteilung, darunter ein Viertel in der Sektion 8, die für die terroristischen Gruppen zuständig war, die sich auf unserem Territorium aufhielten. Politisch verfolgten wir eine Vermeidungsstrategie. Wir wollten auf keinen Fall in die politischen oder materiellen Konsequenzen hineingezogen werden, die die Aktionen dieser Gruppe nach sich ziehen konnten. Was die Carlos-Gruppe oder RAF anlangt, so stellten wir sie unter Aufsicht und verbaten ihnen, das Territorium unseres Staates als Hinterland für Aktionen gegen dritte Staaten zu nutzen.

Wäre es da nicht viel einfacher gewesen, Carlos und seinen Leuten den Zutritt nach Ost-Berlin zu verwehren?

Man kann das heute schwer verstehen. Seit dem Attentat gegen die israelischen Sportler während der Olympischen Spiele 1972 war der arabische Terrorismus zu einem Problem für uns geworden. Wir trafen uns mit den Kollegen aus den anderen sozialistischen Ländern, um dieses Problem zu diskutieren. Auch unsere ersten offiziellen Kontakte mit der PLO datieren aus dieser Zeit „nach München“. Ideologisch waren wir gegen den Terrorismus, und wir haben das auch allen unseren Gesprächspartnern aus dem terroristischen Milieu klargemacht. Aber wir wollten auch behutsam mit diesen Gruppen umgehen, um uns zu schützen. Das war eine Art Appeasement-Taktik, der Versuch, sie zu neutralisieren, um Schlimmeres zu verhüten. Das war der Grund dafür, daß unsere Dienste – vielleicht zu oft – die Augen schlossen. Wenn ein arabischer „Diplomat“ mit einer Waffe ausgerüstet unsere Grenze überschritt, hat man es vorgezogen wegzusehen. Diese Art von Dingen...

Es ging wirklich nur um Überwachung und „Appeasement“?

Natürlich konnten andere Absichten existiert haben. Mielke, im übrigen derjenige, der am meisten die politischen und diplomatischen Konsequenzen fürchtete, die entstünden, wenn der Westen die Anwesenheit von Carlos in der DDR entdeckte, hatte sicher einige Ideen, wie man sich in außerordentlichen Fällen dieser Leute bedienen könnte.

Zum Beispiel?

Im Falle eines Krieges hätten wir ein stay behind von Leuten brauchen können, die in der Lage gewesen wären, im Hinterland des Aggressors eine Guerilla aufzubauen, Netze von Spezialisten, die Brücken sprengen und strategische Installationen hätten angreifen können. Aber das traf auf die Leute der RAF eher zu als die Carlos-Gruppe.

Schön, falls es Ihnen darum ging, die DDR vor den Terroristen zu schützen: Wie erklären Sie dann die Fälle, in denen die Stasi zum Komplizen von Carlos wurde? Wie erklären Sie die Affaire um die Waffen, die aus Beständen der DDR stammten und 1980 bei „Steve“ (Deckname von Carlos für Weinrich) gefunden wurden?

Es handelte sich um Waffen für die ETA. Darin lag – damals – kein Widerspruch zu unserer Linie.

Wer traf solche Entscheidungen?

Der Chef der Abteilung XXII, nachdem er von Mielke grünes Licht bekommen hatte.

Aber Sie waren doch schließlich Mitglied des „Kollegiums“ beim Ministerium?

Das war ein rein dekoratives Gremium. Es traf sich einmal im Jahr, und sein Inhalt erschöpfte sich im wesentlichen darin, daß Mielke uns mit seinen üblichen endlosen Lektionen über „die Feinde, die uns einkreisen“, und über „Notwendigkeit der Wachsamkeit gegenüber dem Imperialismus“ zuschüttete. Mielke vertraute niemand, fällte Entscheidungen dieses Genres stets allein, ohne vorhergehende Beratung mit irgend jemandem. Honecker selbst wollte von diesen Dingen nichts wissen und ließ ihn gewähren.

Und der Anschlag auf das Maison de France?

Es ist mehr oder weniger nach der Hausdurchsuchung bei Schneider (Codename der Stasi für Weinrich) erwiesen, daß unsere Dienste vom Plan eines Attentats gegen ein französisches Objekt in West-Berlin wußten. Zudem scheint erwiesen, daß wir 24 Kilo Sprengstoff, die Schneider von Budapest aus mitgebracht hatte, in unserem Waffenarsenal aufbewahrten. Sie können das „Komplizenschaft“ nennen, wenn Sie wollen. Aber ich versichere Ihnen, daß sich bei uns kein Mensch auch nur einen Augenblick lang vorstellen konnte, daß wir ihn ein solches Attentat wirklich hätten durchführen lassen. Welches Interesse hätten wir daran haben können? Vielleicht hat man es unterlassen, zwischen dem Attentatsplan und der Sprengstofflagerung eine Verbindungslinie zu ziehen – was ein schwerer Fehler gewesen wäre. Vielleicht wurde unsere taktische Linie, auf alle Fälle eine Konfrontation mit Carlos und seinen Leuten zu vermeiden, hier schlecht angewandt. Diese Linie ist hier jedenfalls ins Schlittern gekommen. Man hat uns ähnliche Vorwürfe im Fall des Attentats gegen die Discothek „La Belle“ gemacht, die mit Hilfe arabischer „Diplomaten“ in die Luft gesprengt wurde. Die Informationen, die wir über die Planung dieses Attentats erhielten, stammten von den Russen, und die wiederum hatten sie von den Amerikanern. Der CIA wußte viel mehr als wir, und er ließ die Terroristen gewähren.

Falls es beim Maison de France auf Ihrer Seite um einen Fall von Blindheit ging, wie erklären Sie diese Blindheit?

Wir wollten alle Probleme mit unseren arabischen Freunden vermeiden. Und dann gab es noch Carlos selbst. Er war eine richtige Wildkatze. Ein unkontrollierbarer Abenteurer. Ich erinnere mich sehr gut, in welche Verwirrung er, als er im Palasthotel wohnte, die zu seiner Überwachung abgestellten Offiziere stürzte. Sie wußten nicht mehr, was sie tun sollten. Er verbrachte seine Nächte, die Pistole umgeschnallt, an der Bar, von Frauen umgeben, soff wie ein Loch. Er schien zu allem fähig zu sein. Er hat uns sogar gedroht.

Seien Sie etwas präziser.

Ich erinnere mich, daß er, als seine Freunde Kopp und Breguet in Paris verhaftet wurden, er damit drohte, unsere Pariser Botschaft in seine Gewalt zu bringen. Wir mußten konkrete Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.

Was wollte er?

Hilfe. Ich weiß nicht genau, welche konkrete Hilfe er forderte, aber es ging auf alle Fälle um etwas, was mit seinen verhafteten Freunden in Paris zusamenhing.

Sagt Ihnen der Name Vergès etwas?

Natürlich. Aber ich habe ihn niemals getroffen.

Was halten Sie von dem Stasi- Bericht, der ihn als „operatives Mitglied“ der Gruppe Carlos bezeichnet?

Ich müßte das entsprechende Dokument lesen, um präzise antworten zu können. Prinzipiell kann man sagen: Wenn es sich dabei um einen Bericht handelt, der auf unseren eigenen Untersuchungen und Beobachtungen beruht, der unsere eigenen Schlußfolgerungen enthält, glaube ich ihm 100 Prozent. Es kann sich aber auch um einen Bericht handeln, der auf der Basis von Informationen von Carlos erstellt worden ist. Ich kann mir genau vorstellen, wie dieser Typ einem von unseren Leuten in seiner Umgebung erzählt hat, es gäbe da einen Anwalt, der „einer von uns ist“, einer, der „bereit sei, uns zu helfen“ etc. Unser Offizier könnte einfach eine maßlos übertriebene Behauptung wörtlich wiederholt haben. Und Carlos war ein Großmaul. Das Interview führte M. Najman

für „Nouvel Observateur“ und taz.

Aus dem Französischen: C.S.

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