Das war die Woche in Berlin II: Traurige Worte am Wannsee
Gerade hat Judith Hermann mit „Lettipark“ einen weiteren Erzählband publiziert. Vergangene Woche las sie daraus vor.
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Es ist nun schon fast 20 Jahre her, dass Judith Hermanns Erzählungen „Sommerhaus, später“ in aller Munde waren – weil diese Autorin es wie keine bis dahin schaffte, dem breiten Publikum zu erklären, wie die „Berliner Boheme“ damals lebte. Bei Judith Hermann wurden Leute geschildert, die häufig in den frühen Neunzigern nach Berlin gekommen waren, die in Anbetracht lächerlicher Mieten, riesiger Freiräume und unstrukturierter Studiengänge wenig Notwendigkeit sahen, über stressige Angelegenheiten wie Geld und Arbeit nachzudenken, die vorzugsweise ihren Gedanken nachhingen, hin und wieder sprachen, etwas rauchten – und irgendwie in alldem verbunden schienen.
Judith Hermann hat nach „Sommerhaus, später“ ein Kind bekommen, zwei weitere Bände mit Erzählungen publiziert, einen Roman – und nun, unter dem Namen „Lettipark“, wieder Erzählungen. So, wie sie in ihrer Literatur ihrer Klientel treu geblieben ist, so sind ihre Fans Judith Hermann treu geblieben. Viele Menschen haben an diesem schönen Sommerabend ins Literarische Colloquium am Wannsee gefunden, um ihr zu lauschen – fast alle sind wie die Autorin inzwischen Mitte vierzig. Viele von ihnen machen Gesichter, als wären sie irgendwo angekommen, wo sie eigentlich nie hingewollt hatten – und auch das teilen sie mit den Figuren von Judith Hermann, ja vielleicht mit Judith Hermann selbst.
Die Zukunft schrumpft, die Vergangenheit wächst
Wie kann man ein fröhlicher Mensch sein, wenn man hauptsächlich Menschen beschreibt, die nicht nur keinen Draht mehr zueinander finden, sondern die darüber hinaus auch Schwierigkeiten haben, sich zu erinnern, was sie einmal geteilt haben mögen? Liegt es am Großziehen der Kinder? Am vielen Rechnen, an den Zumutungen des Erwachsenwerdens? Oder einfach nur daran, dass die Zukunft schrumpft und die Vergangenheit wächst, je älter man wird? So oder so: Die Geschichten der Judith Hermann im Jahr 2016 sind so traurig, dass einem das Herz eng wird, wenn man sie liest.
„Ich finde gar nicht, dass meine Geschichten so düster sind“, verteidigt sich die Autorin auf dem Podium. Kurz darauf verrät sie, dass sie schon seit einiger Zeit keine Musik mehr hören kann, dass sie kürzlich sogar ihren Sohn bat, ein Lieblingslied auszuschalten, das als Motto ihrem zweiten Buch vorangestellt war, den Song „Wouldn’t It Be Nice“ von den Beach Boys. „So eine strahlende, euphorische Musik“, seufzt sie. Hinterm Literarischen Colloquium geht die Sonne unter.
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