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Das war die Woche in Berlin IDie Neutralität steht auf der Kippe

Eine Lehrerin wehrt sich gegen das Kopftuchverbot mit einer Klage. Es wäre bedauerlich, wenn das Gericht die weltanschauliche Neutralität in der Schule kippen würde.

Für LehrerInnen in Berlin im Unterricht tabu: Kopftücher. Foto: dpa

Es ist die Paradoxie einer freien Gesellschaft, dass sich die Einzelnen gegen das Befreiende entscheiden können. Etwa beim islamischen Kopftuch: Männer haben Frauen mit dieser Bekleidungsvorschrift einen Status übergestülpt, der ins Objekthafte tendiert – aber wenn eine Frau sich heute souverän für diesen Status und seinen textilen Ausdruck entscheidet, dann kann und soll sie das tun.

Über die vielen, deren Entscheidung weniger autonom ausfällt, ist damit noch nichts gesagt – genauso wenig wie über das Tragen des Tuchs in hoheitlicher Funktion. Hier ist für Berlin bald mit einer Grundsatzentscheidung zu rechnen, nachdem diese Woche eine muslimische Lehramtskandidatin gegen das Land geklagt hat. Sie wehrt sich dagegen, dass ihr eine Anstellung im öffentlichen Schuldienst verweigert wird, solange sie nicht bereit ist, ihr Kopftuch zum Unterrichten abzulegen. Das Arbeitsgericht befasst sich ab April damit.

Vorausgegangen war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass pauschale Kopftuchverbote für Lehrerinnen staatlicher Schulen nicht mit der Bekenntnisfreiheit vereinbar seien. Der Senat überprüfte daraufhin das seit 2005 geltende Neutralitätsgesetz, das neben Lehrern auch Polizisten und Richtern untersagt, im Dienst religiöse Symbole zu zeigen. Fazit: Es bleibt dabei – anderenfalls sei der Schulfrieden nicht gewährleistet. Eine eher wacklige rechtliche Grundlage, dabei sind die gesellschaftlichen Mehrheiten recht eindeutig: Zuletzt ergab die Programmumfrage der SPD, dass 81 Prozent ihrer Mitglieder das Neutralitätsgesetz für richtig halten.

Es wäre sehr bedauerlich, sollte das Gericht die weltanschauliche Neutralität in einem so sensiblen Bereich wie der Schule kippen. Egal, wie man es dreht: Religiöse Symbole separieren ein „Wir“ vom „Die“, und sie teilen implizit mit, dass das „Wir“-Kollektiv im Recht oder moralisch besser oder gar auserwählt ist. Dass der Staat dies als Repräsentant der Allgemeinheit legitimiert, ist absurd.

Die Mehrheiten in der Gesellschaft sind bei dieser Frage recht eindeutig

„Die pauschale Ablehnung des Kopftuchs im Schuldienst benachteiligt Frauen“, so die Anwältin der Klägerin. Richtig ist: Eine Religion benachteiligt Frauen, wenn sie diese durch Spezialkleidung markiert und ihnen nicht einmal Auszeiten zugesteht, um ihrer Arbeit nachgehen können.

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5 Kommentare

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  • „Die pauschale Ablehnung des Kopftuchs im Schuldienst benachteiligt Frauen“, so die Anwältin der Klägerin. Richtig ist: Eine Religion benachteiligt Frauen, wenn sie diese durch Spezialkleidung markiert und ihnen nicht einmal Auszeiten zugesteht, um ihrer Arbeit nachgehen können.

     

    Richtig analysiert!

  • die weltanschauliche neutralität...

    glaubt eigentlich irgendwer, eine mathelehrerin mit tuch auf kopf beginne jede kurvendiskussion mit der schahada oder dem schma-israel?

    anders gesagt: da vorstellungen über männers, nicht mal tuaregs, in der öffentlichen diskussion kaum eine rolle spielen, gehören die vorstellungen über die neutralität von frauen genauer unter die lupe genommen!

    weil nämlich, wenn eine anwältin/richterin/staatsanwältin in robe statts mit weißem schal mit weißem schlips auftritt, sie wegen verstoß gegen die geschlechtlich konnotierte kleiderordnung als nicht anwesend betrachtet werden kann.... mit der folge, dass sie ihre arbeit solange nicht machen darf, bis sie zur festgelegten geschlechtlich konnotierten 'neutralität' zurückgekehrt ist.

    oder noch anders gesagt: neutralität in/an menschen im öffentlichen dienst gibt es nicht.

    und wenn ich den finde, wo diesen unsinn erfunden, dann werd ich den standesrechtlich erschießen.

     

    ach ja, für anwälte/richter/staatsanwälte gilt mein beispiel ganz genauso. wenn die staats weißem schlips mit weißem schal auftreten, wird ihnen von phall zu phall ebenfalls die hölle heiß gemacht.

  • Die Natur hat, zum Beispiel, die Frauen nun mal mit Sexuellen Locksignalen ausgestattet. Das hat sich, wenn man die Bevölkerungszahlen anschaut, bewährt.

     

    Wenn jetzt Religionen deren unmittelbare Zurschaustellung verbietet kommen Gläubige in Konflikt mit ihrem Glauben. Stellen Sie sich vor sie kommen in ein Land und dort verbietet man ihnen als Frau ihre Brüste zu bedecken.

     

    Nicht dass ich hier Religionen gutheißen möchte. Ich halte den Glauben an ein höheres Wesen das auf mich, natürlich erst nach Anbetung und Lobpreisung, aufpasst für ziemlich naiv. Ganz abgesehen von der seltsamen Ungleichbehandlung von Mann und Frau in Bedeckungsfragen. Man sollte aber den Glauben anderer respektieren.

     

    Was nicht geduldet werden kann ist dass dieser Aberglauben in die öffentlichen Schulen getragen wird. Keine Kreuze, Halbmond, irgendwelche Schreine oder gar Missionierung. Keine Nonnen (auch Kopftuch) keine Burka.

     

    Andererseits wäre es nicht schlecht, sich nach einigen Bibelgeboten wie, "Du sollst nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen" zu richten. Auch ein Zinsverbot gibt es. Solche sinnvollen Gebote werden aber von den Kirchenfürsten und Mächtigen relativiert da sie ihr Entstehen behindern.

  • Es ist immer wieder erstaunlich dass wir tatsächlich im 21. Jahrhundert noch darüber diskutieren welchen Stellenwert Religion im öffentlichen Raum haben darf.

    Wenn eine pädagogische Authoritätsperson so religiös geprägt ist, dass sie ihr Kreuz/Kopftuch/Nudelsieb unter keinen Umständen am Schultor aufhängen will, wäre doch auch mal die Frage gestattet ob dieser Mensch für die wissenschaftliche Erziehung von Kindern überhaupt geeignet ist. Für mich zumindest klingt "religiöser Biologielehrer" etwa wie "atheistischer Religionslehrer", oder "stark adipöser Sportlehrer".

    • @Naeltard:

      dann wäre allerdings auch danach zu fragen, ob wir pflege+erziehung+bildung unserer mini-fuzzis beschnittenen resp.unbeschnittenen, bärtigen resp. bartlosen, behaarten resp.glatzköpfigen personen männlichen geschlechts anvertrauen dürfen sollten.

      denn so etwas, was nicht einfach am schultor ab+aufgehängt werden kann, hat ja möglicherweise noch viel schrecklichere auswirkungen auf die seelchen unserer mini-fuzzis als ein teil, welches nach belieben an+abgelegt werden kann.

      oder?