Das war die Woche in Berlin I: Bewegung aus dem Museum
Der „Zug der Liebe“ war charmante Reminiszenz an die Loveparade – und eine Art Gedenkveranstaltung an die Zeit, als Berlin noch für Techno stand.
Eine Stadt kann sich ihre Jugendbewegung nicht aussuchen, sonst wäre es keine echte Bewegung. Doch wenn sie – die Stadt, nicht die Jugendbewegung – Glück hat, kann sie früher oder später mit den einstigen Avantgarde-Teenies und -Twens werben. Das klappt selbst mit depressivsten Dingen; so adelt sich das englische Manchester selbst als Geburtsort der New-Wave-Miterfinder Joy Division, die nicht gerade Gute-Laune-Musik machten. Kein Wunder also, dass sich Berlin gern mit der Technomusik und ihrer skurrilsten Ausprägung, der Loveparade, schmückt.
Vor diesem Hintergrund bedauern manche, dass es mit der Bumm-Bumm-Nummer so bergab ging, dass sie am Ende im Westen der Republik sogar Menschen unter sich begrub.
Am Samstag haben zwei Menschen versucht, den Geist der alten Loveparade wiederzubeleben, ohne all deren Nebeneffekte, und den Namen zu reanimieren: Ihr „Zug der Liebe“ blieb mit rund 25.000 Teilnehmern bei bestem Wetter kleiner, ruhiger und vor allem sponsoren- und merchandisinglos – und war damit viel charmanter als das untergegangene Vorbild. Sogar dreijährige Mädchen ließen sich am Straßenrand von der Musik zum ekstatischen Tanzen bewegen.
Natürlich war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen: Die Organisatoren hätten sich noch mehr politische Parolen und Plakate gewünscht, schließlich war der Zug ganz offiziell eine Demo – ein Status, der der Loveparade zuletzt versagt blieb. Und etwas weniger einfach strukturierte Jungmänner, denen man schon in normalen Zustand nicht begegnen will und im deutlich alkoholisierten wie am Samstag schon gar nicht, hätten der Stimmung gutgetan.
Letztlich war die Parade vor allem eine museal angehauchte nette Reminiszenz an das große Vorbild, da dürfen auch ein paar Schattenseiten präsent sein. Und da der Zug der Liebe niemals die Auswüchse der Loveparade erreichen wird – dafür ist Straßentechno einfach zu oll und zu öd – kann man der nächsten Auflage 2016 entspannt entgegen sehen. Wer will, kann sich sogar darauf freuen.
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