: „Das wäre Betrug an den Wählern“
■ Ausländische Bezirksverordnete in Ost-Berlin wollen auch nach Ablehnung des kommunalen Wahlrechts für AusländerInnen ihr Mandat behalten/ Auch Brandenburg will Verfassungsänderung
Berlin (taz) — Kaum einer hat sie bemerkt inmitten triumphierender oder enttäuschter Stellungnahmen zum Urteil aus Karlsruhe. Ausgerechnet in der ehemaligen DDR sind die von der CDU so gefürchteten ausländischen MandatsträgerInnen längst in Amt und Würden: Rund 80 EinwanderInnen mit ausländischen Pässen hatten bei den Kommunalwahlen am 6.Mai 1990 kandidiert — dank eines Vermächtnisses der SED, die das kommunale Ausländerwahlrecht aus propagandistischen Gründen ein Jahr zuvor noch eingeführt hatte. In Ost-Berlin repräsentieren AusländerInnen das Wahlvolk seitdem unter anderem in den Bezirksparlamenten von Marzahn, Hohenschönhausen und Pankow.
Sie werde ihre Wähler jedenfalls nicht im Stich lassen, erklärte am Mittwoch die mongolische SPD-Abgeordnete in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung, Oja Leiterer. „Das wäre ja Betrug an den Leuten.“ Die mit einem Deutschen verheiratete Physikerin war zwar während ihres Wahlkampfes mit Gegnern des Ausländerwahlrechts konfrontiert, „aber nach einer längeren Unterhaltung hat sich das meist gelegt.“ Ihr Mandat niederzulegen, kommt für Oja Leiterer ebensowenig in Frage wie für ihre KollegInnen aus Peru, Irak oder dem Libanon.
„Konsequenterweise dürften die jetzt nicht mehr Bezirksverordnete sein“, erklärt Winfried Buchhorn, Jurist und Mitarbeiter der ehemaligen DDR-Ausländerbauftragten Almuth Berger. In diesem Fall müßten jedoch Neuwahlen durchgeführt werden, was für Berlin auf Bezirksebene erst wieder 1992 geplant ist. Buchhorn geht davon aus, daß weiterhin gilt, was zur Zeit der Kommunalwahlen rechtens war. „Die ausländischen Verordneten müssen also bleiben.“
In den SPD-regierten Bundesländern, ob „alt“ oder „neu“, setzt man nach der Schlappe in Karlsruhe auf eine Verfassungsänderung. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein unterbreitete bereits am Mittwoch einen Vorschlag zur Ergänzung von Artikel 28 des Grundgesetzes: „Ausländische Staatsangehörige und Staatenlose im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben Wahlrecht zu den kommunalen Vertretungskörperschaften.“ Auch die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90 und FDP in Brandenburg will sich laut Koalitionsvereinbarung für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes einsetzen. Dafür ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit nötig. Die erscheint illusorisch angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat, die sich nach allen Prognosen auch nach dem 2.Dezember nicht ändern werden. Buchhorn befürchtet allenfalls, daß im Zuge der Verfassungsdiskussionen Grundgesetzpositionen „verschachert“ werden. „Möglicherweise wird dann die SPD weich bei der Einschränkung des Asylrechts und pokert statt dessen um das kommunale Ausländerwahlrecht.“ Dann, so Buchhorn, solle man lieber gar nichts ändern. Andrea Böhm
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