: Das wackere Provinzbrot
■ „Jankelewitsch und sein Leibwächter“im Altonaer Theater
„Das Leben wurde immer lustiger“, sagt Jankelewitsch mit vollem Ernst inmitten seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Schwätzen. Ein armer russischer Jude im französischen Exil, in dessen Biografie fast alle unbedeutenden Katastrophen versteckt sind, die dieses Jahrhundert einem wie ihm zugedacht haben kann – nur erzählen kann er sie nicht, weil niemand mehr zum Zuhören da ist.
Der alte Mann tut das Naheliegende: Er engagiert zwei Ohren. Eine angeblich stahlharte Faust bekommt er gratis mitgeliefert. Darauf legt er zwar gar keinen Wert, aber man arrangiert sich. Der Junge übt Karate, der Alte schwätzt, und so vergeht die Zeit.
Zweieinhalb Stunden hat sich Regisseur Ilo von Jankó im Alto-naer Theater für das Erzählstück Jankelewitsch und sein Leibwächter reservieren lassen. Die Fabulierkünste des Autoren- und Brüderpaares Alexander und Lew Schargorodski in allen Ehren – etwas Pep hätte die angestaubte Inszenierung schon vertragen können. Joachim Bliese bestreitet wacker den Märchenonkel Jankelewitsch, Peter Heinrich assistiert ihm als liebenswürdiges Provinzbrot und als Gemeindevorsitzender. Solides Handwerk zwischen braunen Küchenstühlen und ge-tuschten Bäumen auf der Bühne von Félicie Lavaux-Vrécourt. Mehr war nicht zu sehen.
Von Jankó, der als Regisseur unter anderem am Thalia und am Ohnsorg-Theater tätig war, übt sich in Konventionen und umschifft erfolgreich alles Unvorhersehbare. Keine Überraschung, keine Wendung, die nicht lange vorher ausführlich angekündigt und schonend aufbereitet würde. Jankelewitsch, der sich das Gehalt des Leibwächters von der Stütze absparen muß, gibt sich als steinreicher Waffenhändler aus. Natürlich wird er prompt entführt, doch weil er schlau ist und Glück hat, wird er selbstverständlich freigekauft.
Keine Gefahr für sensible Gemüter, und doch ist das langsame Dahingleiten auf seine Art angebracht – es paßt zum Tenor des Textes. Jankelewitsch und sein Leibwächter ist ein komisches Stück, ausgestattet mit dem unverwechselbaren Humor der osteuropäischen jüdischen Kultur. Es ist eine Komik, die sich aus dem alltäglichen Grauen speist und schon deswegen niemanden verletzen kann, will und muß. Die leicht in Melancholie übergeht und dann wieder zum Schmunzeln zurückkehrt. Angenehm anzuhören und heute nur noch harmlos, weil schon so furchtbar weit weg. Jankelewitsch mußte für drei Witze neun Jahre ins Gefängnis. Das Publikum muß am Schluß nur noch aus den Sesseln hochkommen.
Barbara Paluskova
bis 27. Februar, 20 Uhr, Altonaer Theater
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