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Das spasmische Genie

■ Paul Merson, trink- und rauffreudiger Stürmer von Arsenal London, sorgte mit der Enthüllung seiner Kokainsucht für Entsetzen in Englands Fußballszene

Berlin (taz) – Daß Paul Merson, Fußballspieler bei Arsenal London, säuft wie ein Loch, ist längst kein Geheimnis mehr. Selbst seriöse englische Postillen bescheinigen dem 26jährigen, daß 12 Pints Lagerbier für ihn ein geringeres Problem darstellen als das Verwandeln eines Strafstoßes. Verfahren wegen Trunkenheit am Steuer, Wirtshausraufereien, die vorzeitige Heimreise von einer Asientour nach einem ausgiebigen Alkoholgelage säumen Mersons Karriere bei Arsenal, das solchen Exzessen traditionell eher sanftmütig begegnet. Für den Verteidiger Tony Adams zahlte der Klub brav das Gehalt weiter, als dieser wegen betrunkenen Autofahrens im Knast saß, und auch im Falle Merson beließ man es bei regelmäßigen Geldstrafen. Einmal blieb dem Stürmer nach Abzug aller Strafen von seinem Wochenlohn genau ein Pfund Sterling übrig.

„Sie stehen auf müden Beinen herum und schütten sich zu“, beschrieb Graeme Souness einmal die Lieblingsbeschäftigung britischer Fußballer nach dem Match, übermäßiger Alkoholkonsum ist ein altes Problem in der englischen Liga. Große Spieler wie George Best und Jimmy Greaves ruinierten auf diese Weise frühzeitig ihre Karrieren, und obwohl sich Paul Mersons 14 Länderspiele in dieser Ahnenreihe recht bescheiden ausnehmen, trat er beherzt in die feuchtfröhlichen Fußstapfen der in mehrfacher Hinsicht legendären Altvorderen. Dem Arsenal-Stürmer bescherten die emsigen Pub- Visiten vor allem dreierlei: heftige Formschwankungen, noch heftigere Gewichtsprobleme und große Beliebtheit bei den Fans.

Diese fielen nun aus allen Wolken, als Paul Merson – verheiratet, zwei Söhne – öffentlich kundtat, daß er nicht nur dem Bier, sondern auch dem Spiel und dem Kokain verfallen war, einer Droge, die wegen ihrer stimulierenden Wirkung in manchen Sportarten Verwendung findet und darum auf der Dopingliste steht. Im Januar habe er wegen des auf ihm lastenden Stresses und seiner horrenden Spielschulden „als Experiment“ damit angefangen. „Bald kam jedoch der Moment, als ich das Zeug brauchte“, erklärte Merson, „ich war ein Idiot.“ Er verheimlichte die Sucht vor seiner Familie und den Mitspielern, bis Arsenals Teamarzt kürzlich ankündigte, daß er gedenke, überraschende Dopingkontrollen bei den Spielern vorzunehmen. Merson ging präventiv an die Öffentlichkeit, und da er zwar vielleicht ein Idiot ist, aber kein Narr, verkaufte er die Geschichte gleich für 250.000 Mark an den Daily Mirror, der stolze acht Seiten damit füllte.

Die Enthüllung, daß Paul Merson „die weißen Linien auch außerhalb des Spielfeldes schätzt“ (Observer), schockierte die englische Öffentlichkeit nicht unbeträchtlich. Was hatte man doch gegen die bösen Argentinier gewettert, die einfach urbritische Inseln im Südatlantik überfallen, Tore mit der Hand erzielen und sich in Gestalt der Beelzebuben Maradona und Caniggia mit Koks vollpumpen, um besonders gemeine Haken schlagen zu können. Und nun das: ein Judas in den eigenen Reihen. Harte Bestrafung forderten die einen, doch der Fußballverband (FA) und Arsenal London reagierten gelassen. Die Rehabilitation habe Vorrang, erklärte FA- Geschäftsführer Graham Kelly, das Disziplinarverfahren sei zweitrangig. Ähnlich äußerte sich Arsenals leidgeprüfter Manager George Graham, der Merson in dieser Saison ohnehin kaum aufstellte, „weil die Einstellung nicht stimmte“.

Für Graham ist die Sache besonders peinlich, tritt er doch mit Spielern wie Alan Shearer und John Barnes in einem gerade veröffentlichten Anti-Drogen-Video auf. Paul Merson war wohlweislich nicht hinzugezogen worden, dennoch ist die Sache ein bißchen so, als würde man Lothar Matthäus und Heike Henkel beim gemeinsamen Genuß eines Haschkekses erwischen.

Die Konsequenzen für die Laufbahn Mersons, der vom Verein vorläufig freigestellt wurde, um „sein Leben in Ordnung zu bringen“ (Graham), sind ungewiß. Zwar ertappte man ihn nicht wie Maradona und Caniggia, die beide für 15 Monate gesperrt wurden, bei einer Dopingkontrolle, dafür spielte er jedoch beispielsweise im Mai, auf dem Höhepunkt seiner zugegebenen Kokainabhängigkeit, 87 Minuten lang beim 1:0-Sieg Arsenals im Europacup-Finale der Pokalsieger gegen den AC Parma. Bevor die Disziplinarverfahren bei FA und gegebenenfalls FIFA abgeschlossen sind, wird er sicher nicht wieder auflaufen, Graham hofft jedoch auf die Rückkehr des bisweilen genialen Angreifers. „Genie ist eben spasmisch“, übt sich Arsenals Übungsleiter in Lakonie.

Die Fans des derzeit wenig erfolgreichen Londoner Klubs tragen die Sache mit Humor. „Merson ist also auf Koks“, lautet ein Spruch, „nun, daß es nicht Speed sein kann, wußten wir längst.“ Matti Lieske

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