Das schwarze Schaf vom Niederrhein

Der unaufhaltsame Abstieg eines ehemaligen Bundesligavereins: Rot Weiß Oberhausen  ■  Von Christoph Biermann

Etwas schief hängt sie an der Wand, die Vereinsfahne in rot, weiß und rot, mit dem grünen vierblättrigen Kleeblatt in der Mitte. An diesem Abend im „Haus Union“ in Oberhausen könnte man auch sagen: angemessen traurig.

Gerade 95 der noch verbliebenen 322 Mitglieder des SC Rot Weiß Oberhausen sind zur Jahreshauptversammlung gekommen aus Treue zum Verein, vielleicht auch aus Gewohnheit. 1,7 Millionen Mark Schulden hat der Club. Die 1. Fußballmannschaft, dereinst eine feste Größe im deutschen Fußball, steht vor dem sicheren Sturz in die Verbandsliga, in die Viertklassigkeit. Ein Sieg, ein Unentschieden, 20 Niederlagen, und es werden jede Woche mehr. So tief stürzte noch kein ehemaliger Bundesligist, und der freie Fall ins Nichts ist weiter ungebremst. Der Konkurs findet nicht statt. Da gäbe es auch nichts zu holen, der Verein ist im Moment eigentlich nur noch ideell vorhanden.

Man kennt das aus der Schule. Alle haben Spickzettel unter der Bank, und doch erwischt der Lehrer immer dieselben. RWO hatte ziemlich oft Spickzettel unter der Bank. Das fing schon 1969 an, in der Zeit, als die Bürgersteige auf der Styrumer Straße rot-weiß angepinselt wurden. Endlich war RWO in die Bundesliga aufgestiegen. Grund für überschwenglichen Jubel in einer Stadt, die sonst so wenig zu bieten hat.

Kobluhn müllert

Es ist die große Zeit des Vereins, 1971 wird sogar ein Oberhausener Torschützenkönig. Lothar Kobluhn hat 24mal getroffen, Gerd Müller, immerhin der Torjäger der Nation, nur 22mal. Aber es ist auch das Jahr, in dem die heile Fußballwelt zusammenbricht. Offenbachs Präsident Canellas belastet im Bundesligaskandal auch RWO und behauptet, daß ihm Peter Maaßen, sein Kollege aus Oberhausen, vor dem von den Kickers mit 3:2 gewonnenen Spiel 50.000 Mark für einen Punktgewinn geboten hätte.

Vor dem Sportgericht des DFB steht Aussage gegen Aussage, aber die Entscheidung fällt gegen Maaßen und RWO. Maaßen darf im DFB nie mehr ein Amt übernehmen. Die Bundesligamannschaft muß mit fünf Minuspunkten in die kommende Saison starten. Für das sowieso schon personell ausgeblutete Team bedeutet das den Abstieg. Selbst die Rücknahme des Punktabzugs sechs Monate später hilft nichts mehr.

Das lange Dümpeln durch die Mittelmäßigkeit beginnt. Ein Jahr Regionalliga, ein Jahr 2. Liga Nord, Abstieg. Trotz 1,6 Millionen Mark Schulden überlebt RWO vier Jahre Amateurliga und steigt 1980 wieder auf. Doch dann kommt die eingleisige 2. Liga, Rot Weiß bleibt wieder draußen vor. Der seit 1974 begnadigte Maaßen sucht nach neuen Förderern. Dabei stößt er auf Hermann Schulz, einen gelernten Metzger, der mit seiner Bauträgerfirma Millionen macht. Schulz ist eine Art Napoleon des niederrheinischen Fußballs. Er ist davon beseelt, sich im Fußball zu profilieren. Eine Saison lang bezahlt Schulz brav seine Unterstützungsgelder, dann will er Macht und putscht. Die Ära des finanziell ruinierten Maaßen ist vorbei, bei RWO beginnt 1980 die Ära Schulz.

1984: der Aufstieg in die 2. Liga soll eigentlich nur Zwischenschritt in Richtung Bundesliga sein. Aber in den folgenden Jahren bleiben die Tabellenplätze ausnahmslos zweistellig und manches Jahr schrammt RWO nur knapp am Abstieg vorbei. Dabei dreht sich das Spielerkarussell furios. In den acht Jahren der Ära Schulz werden insgesamt 108 Spieler unter Vertrag genommen. Die Spieler kommen gerne, in Oberhausen kann man angeblich Traumgehälter kassieren. Das lockt auch manchen altgedienten Profi ins Niederrheinstadion: Ente Lippens, Rüdiger Abramczyk, Manni Burgsmüller.

Wie das finanziert wird ist kaum nachzuvollziehen. Die Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Bandenwerbung und Fernsehgeldern reichen vorne und hinten nicht. Da zahlt Hermann Schulz, aber es gibt auch noch eine Reihe von Fördervereinen und Vermarktungsgesellschaften, ein irrwitziges System aus Mäzenen und Bürgen, das wohl nur noch der Derwisch Schulz durchschaut.

Als Spielobmann des Vereins tritt Schulz in jedem Jahr die obligatorische Fahrt zum DFB an. Es geht um die Erteilung der Lizenz fürs nächste Spieljahr, um die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit. Schulz kennt das Spiel und alle Tricks. Er stellt einen Etat auf, der ausschließlich für die Prüfer des DFB gemacht ist und an dem so gut wie nichts stimmt. Darin sind Spieler doppelt und dreifach beliehen, falsche Bürgschaften und falsche Gehaltslisten machen die Unterlagen zu einem Witz. Diese Unseriosität hat System und ist zugleich systemimmanent. Fast die ganze 2. Liga steht auf solch tönernen Füßen. Der DFB kann oder will das nicht zur Kenntnis nehmen, solange es eben geht, bis der Schwindel wirklich auffliegt.

Ein deftiger Abschied

In Oberhausen steuert es unaufhörlich darauf zu, als Schulz das Geld ausgeht. Mit Beginn der Saison 1987/88 ist die Ära Schulz bei Rot Weiß Oberhausen vorbei. Den deftigen Nachsatz dazu liefert Schulz selbst. Lauthals erzählt er, wie er den DFB stets über den Tisch gezogen hat, womit er einen unauslöschlichen Eindruck bei den bloßgestellten Funktionären hinterläßt.

Im Mai 1988 ist es wieder so weit. Das Lizensierungsverfahren beim DFB steht an. RWO steht gut da, zum erstenmal seit vielen Jahren. Die Bande im Niederrhein -Stadion darf der Verein nun selbst vermarkten, was 450.000 Mark einbringt. Der neuen Fernsehvertrag bringt 400.000 Mark mehr als im Vorjahr. So kann der neue Präsident Könning sogar einen kalkulierten Überschuß von 300.000 Mark ausweisen. Die Mannschaft zeigt Substanz, vielleicht wächst da ein Spitzenteam heran, mit dem es sogar in Richtung Bundesliga gehen kann. Am 10. Juni erhält RWO die Lizenz für die Saison 88/89.

Das ist jetzt acht Monate her, aus und vorbei! Im Mai 1988 hatte das Finanzamt eine Betriebsprüfung bei RWO gemacht. In der Abschlußbesprechung geht es um eine Schenkung des Fördervereins in Höhe von 200.000 Mark. Der Vizepräsident sagt, die sei für den DFB gemacht worden. Eine vollkommen richtige Antwort, denn der DFB hatte vom Verein eine Entschuldung gefordert, und dieser Forderung kam der Förderverein mit der Schenkung nach.

Die Bemerkung gelangt über das Finanzamt zum DFB, nur heißt es jetzt auf einmal, RWO habe die Entschuldung nur „zum Schein“ gemacht. Beim DFB schrillen die Alarmglocken: die haben mal wieder versucht, uns an der Nase herumzuführen. Keine zwei Tage später, am 25. Juni, entscheidet der DFB gegen Oberhausen. Der Verein habe den DFB getäuscht und seine Auflagen nicht erfüllt. Rot Weiß wird die Lizenz rückwirkend für die noch laufende Saison entzogen. Damit ist RWO automatisch Tabellenletzter und muß absteigen.

Die letzte Instanz

Der Verein wendet sich an die letzte Instanz, das Schiedsgericht des DFB. In der Verhandlung zehn Tage vor Beginn der neuen Saison gelingt es RWO, die Vorbehalte auszuräumen, so sehen es jedenfalls die meisten Prozeßbeobachter. Der DFB sitzt jedoch in der Klemme. Ligasekretär Straub hat Bayreuth ein weiteres Jahr 2. Liga versprochen, der Spielplan ist längst entsprechend umgearbeitet. Das Schiedsgericht schließt sich der Argumentation des DFB an. Das Urteil ist ein Witz, das ist jedem Juristen klar. „Das haben sie dem Schulz zu verdanken“, sagt einer vom DFB.

So stürzt der Verein in wenigen Tagen zusammen. Alle Profis gehen, ebenso die Handballer und Pool-Billard-Spieler. Die 2. Mannschaft, ein Team aus der Bezirksklasse, wird in die Oberliga geschickt. Ein finanzielles Chaos aus Alt- und Neuschulden, hastigen Transfererlösen entsteht. Am Ende steht eine Zahl: 1,78 Millionen Verbindlichkeiten.

Im „Haus Union“ ist das an diesem Abend nur ein dumpfer Nachhall. Die Vereinsmitglieder wollen diese Geschichten auch alle gar nicht so genau wissen. Vereine sind für Gefühle da, für Siege, auch für Niederlagen, aber nicht für so was. Sie wollen etwas von Neuanfang und Vereinstreue in herzergreifenden Appellen hören. Es soll weitergehen mit RWO. Die Versammlung wählt Herrn Reichert, Arbeitsgerichtsdirektor in Oberhausen, zum Präsidenten. Er hat den schon etwas abgeschabten Charme eines Peter Kraus und strahlt. Ich bin sauber, sagt dieses Strahlen.

In der hinteren Ecke rumort Hermann Schulz. Keine Gegenstimme, aber eine von zwei Enthaltungen kommt von ihm. Er lacht über dieses saubere Strahlen. Habt Ihr es immer noch nicht kapiert? Habt Ihr nicht gesehen, wie weit Ihr mit Eurer Ehrlichkeit gekommen seid?