Das russische Team ist das Phänomen der EM: Der Russe kommt und mischt uns auf
Der ersten Euphorie über das schöne russische Spiel folgen alte Ressentiments und neues Misstrauen auf dem Fuße. Wieso sind die so fit? Nur weil sie jung sind?
Russland ist ein Land, dem Westeuropa gerne misstraut. Wenn sich diese Nation in irgendeiner Angelegenheit erhebt und mächtig wird, dann regen sich sofort Ängste und Zweifel. Das ist so, wenn Russland Milliardengeschäfte mit seinen Rohstoffen abschließt, das ist so, wenn das Land allzu offensiv mit seiner Verbundenheit zu China kokettiert, und natürlich setzt dieser Reflex auch ein, wenn ein Haufen russischer Namenloser unsere großen Fußballstars aus der Champions League in Grund und Boden spielt.
Nach dem beeindruckenden 3:1 gegen die Holländer, in dem die Fußballer aus St. Petersburg und Moskau die Stars aus den europäischen Edelklubs schwindelig spielten, wurde unter den anwesenden Journalisten plötzlich nicht mehr von "den Russen" gesprochen. Nein, in der Mixed Zone war es plötzlich "der Russe", der Fußballeuropa aufmischt. Die Aufführung war derart beeindruckend gewesen, dass leise, aber doch vernehmbar, der Gedanke zirkulierte, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne. Muss man die läuferische Überlegenheit in der Verlängerung etwa mit dem Gebrauch chemischer Substanzen erklären? Sehr dubios, der Russe.
Natürlich fürchten sich die etablierten Fußballnationen nun vor einem neuen starken, von Staat und Energiekonzernen unterstützten Fußballland, dessen Teams irgendwann einmal Real Madrid, Manchester United und am Ende auch noch die deutsche Nationalmannschaft überrollen könnten. Und natürlich vereinnahmt der Staat die Stars - das ist nicht ungewöhnlich, wenn Stars Erfolg haben. Aber Russland ist unheimlich, also ist es auch die Nationalmannschaft.
Trainer Guus Hiddink hat auf diese Bedenken einmal in einem Interview erwidert: "Ich beuge mich nicht der Macht, sondern der Intelligenz. (…) Ich habe vor niemandem Angst, respektiere aber jeden. Weil Fifa, Uefa und alle Organisationen meiner Ansicht nach wichtig sind, es aber niemals mehr als das Spiel selbst und die Spieler sind oder sein sollen. Weil ich den Fußball nicht brauche, sondern will."
Diese Haltung passt perfekt in die russischen Verhältnisse. Hiddink ist ein großer Fußballdenker, und so formte er eine Mannschaft, die besser angepasst ist an die Erfordernisse des modernen Fußballs als alle anderen Teams dieser Europameisterschaft. Hiddinks Russland ist reichlich ausgestattet mit unglaublich schellen Spielern, die nicht nur in höchstem Tempo rennen. Auch ihre Gedanken und ihre Ballverarbeitung sind entsprechend fix. Tempo ist die zentrale Kompetenz dieser EM.
"Wir spielen nicht defensiv, wir lieben den Angriffsfußball", sagt Andrej Arshavin, der Star der Mannschaft, und doch diese Aussage muss präzisiert werden. Anders als die Spanier wollen die Russen nicht um jeden Preis den Ball kontrollieren. Es handelt sich um jene Sorte Angriffsfußball, den auch die deutsche Nationalmannschaft gegen Portugal spielte und bei dessen Betrachtung die Süddeutsche Zeitung darüber rätselte, ob es sich nun um "offensiven Defensivfußball oder defensiven Offensivfußball" handle. Es geht nicht um lange Ballstafetten, sondern um auf Defensivarbeit basierende Balleroberungen, auf deren Grundlage sich dann rasante Schnellangriffe entfalten lassen.
Vielleicht gelingt den Russen das tatsächlich so brillant, weil sie etwas fitter sind als andere Teams. Ihre Klubsaison hat erst im Frühjahr begonnen, im Gegensatz zu all den Spitzenspielern aus Westeuropa leiden sie weniger unter den Folgen des kräftezehrenden Spieljahrs mit den vielen Wettbewerben. Doch jenseits dieser Überlegung steckt hinter dem russischen Erfolg bei dieser EM vor allen Dingen die Arbeit von Guus Hiddink.
Und das Geld von Staat und Oligarchen, die Milliarden in den Sport pumpen. Das missfällt so manchem Beobachter, ändert aber nichts an der Attraktivität des Ergebnisses.
Hiddink ist selbst erstaunt über die Entwicklung, die seine Mannschaft genommen hat. "Das Team lässt sich unglaublich leicht trainieren", sagt der Trainer. "Obwohl viele Spieler noch sehr jung sind und mit ihren Klubs noch nicht an den großen europäischen Wettbewerben teilgenommen haben, lernen sie alles sehr schnell. Und dieser Lernprozess ist noch lange nicht abgeschlossen."
Das klingt wie eine Drohung. An die Spanier, aber auch an die Deutschen, die in der WM-Qualifikation im Oktober auf diese Russen treffen. Spätestens.
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