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Das multikulturelle Flüchtlingsidyll

■ GAL: Lagerunterbringung unmenschlich und viel teurer

„Wir haben keine Flüchtlingslager. Die mag es andernorts auf der Welt geben, wir haben unsere ,Dörfer', unsere Gemeinschaftshäuser, unsere Hotels, und dies alles mit multikultureller Begegnung“, so die GALierin Anna Bruns am Mittwoch abend in der Bürgerschaft. Der migrationspolitischen Sprecherin fällt angesichts der Weigerung des Senats und der regierenden Parteien, die Massenunterbringung wenigstens zu diskutieren, nur noch Zynismus ein.

„Warum diese verbale Idylle?“, fragt sich die GAL. Warum die Unterbringung von Asylsuchenden „Container- oder Pavillondörfer“, statt beim Namen zu nennen? „Mit angenehmen Worten Unangenehmes, moralisch und gesellschaftlich Anstößiges beschreiben“, heißt es dazu im Lexikon.

„Integrative Wohnformen“ statt dauerhafte „Verwahrformen“ en masse lautete deshalb der Antrag der GAL. Die Sammelunterkünfte seien nicht nur menschenunwürdig, sondern auch erheblich teurer als normale Wohnungen. Alternativen müßten auch unter finanziellen Aspekten geprüft werden. Außerdem berief sich die GAL auf Stellungnahmen der SPD-Altona zum Thema. Dort heißt es, man würde handeln, als habe man es mit „den zeitlich begrenzten Folgen einer Art Flutkatastrophe“ zu tun, die man durch „billige Provisorien“ auffange und gegen die man „nationalhygienische Schutzmaßnahmen“ ergreife. Doch das war vor fünf Jahren.

Heute spricht der SPD-Abgeordnete im Rathaus, Wolf-Dieter Scheurell, von durchaus „menschenwürdigen Standards“ und einem „reinen Vorführcharakter“ des GAL-Antrags. Der sei deshalb nicht nur abzulehnen, sondern auch nicht an den Sozialausschuß zu überweisen. Sehr zum Mißfallen des SPDlers und Chefs des „Bündis türkischer Einwanderer“ Hakki Keskin. Ihn hatte man über diese Abstimmungsentscheidung – keine Überweisung an den Ausschuß – nicht einmal informiert, obwohl er zu diesem Thema ursprünglich in der Bürgerschaft reden sollte. Es sei bekannt, so Keskin, daß er zum Thema Flüchtlingsunterbringung eine SPD-Minderheitenmeinung vertrete. Nämlich, daß Flüchtlinge „nicht durch Segregation ausgeschlossen“ werden dürfen und die Isolierung eine „Einladung an rechtsradikale Gruppen“ darstellt.

Silke Mertins

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