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Das kleinere Übel

■ Ein Drittel der südafrikanischen Weißen ist vor dem Reform-Referendum unentschieden

Das kleinere Übel Ein Drittel der südafrikanischen Weißen ist vor dem Reform-Referendum unentschieden

Der Präsident, umgeben von einer Tränengaswolke, muß von seinen Bodyguards in Sicherheit gebracht werden. Frau de Klerk, vom Volk sonst freundlich mit Vornamen Marike angesprochen, bekommt vom Schock weiche Knie, muß sich ebenfalls den starken Armen eines Leibwächters anvertrauen. Justizminister Kobie Coetsee wird gar mit Rippenprellungen ins Krankenhaus eingeliefert. Was Frederick de Klerk am Montag in Bloemfontein passierte, ist zum Teil traditioneller burischer Wahlkampfstil, von den Protagonisten gerne als „robust“ umschrieben. Das Zusammenschlagen von Opponennten, das Niederbrüllen von Rednern gehörte schon immer zum Repertoire burischer Parteiaktivisten. Aber all das war auch eine Demonstration des Ausmaßes der Wut gegen de Klerk, die sich in Teilen der weißen Bevölkerung aufgestaut hat.

Der Vorwurf des Verrats ist von den Rechten her leicht zu untermauern. Genüßlich zitieren sie de Klerk oder Außenminister Pik Botha, die vor drei Jahren noch Verhandlungen mit dem „Afrikanischen Nationalkongreß“ (ANC) oder den Kommunisten empört ausschlossen, die Bedrohung durch Sanktionen herunterspielten, der Welt trotzten. Wie kann man denen glauben, fragen die Rechten, wenn sie jetzt im Ton inbrünstiger Überzeugung das genaue Gegenteil behaupten? Immerhin war die Warnung vor der „schwarzen Gefahr“ das Herzstück der Apartheid-Ideologie. Jetzt wird die „schwarze Gefahr“, die Angst vor der Revolution, als Begründung für den Reformprozeß angeführt!

Die aus dieser Paradoxie herrührende Unsicherheit ist das wohl markanteste Merkmal der Situation im Vorfeld des weißen Referendums nächste Woche. Die Zahl Unentschiedener wird in den meisten Umfragen auf etwa 30 Prozent der Wähler geschätzt. Für sie ist die zentrale Frage, welches das kleinere Übel ist: als „entmachtete“ Weiße unter einer schwarzen Regierung zu leben, oder den Schwarzen und der Welt zu trotzen und an der Macht festzuhalten. Wer das Referendum gewinnen will, muß diese Stimmen fangen. Dabei fragen die Weißen nur nach ihrem eigenen Interesse. Demokratisierung, Abschaffung des Unrechts und Gleichberechtigung der schwarzen Mehrheit sind kein Motiv bei der Stimmentscheidung. Hans Brandt, Johannesburg

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