piwik no script img

»Das kann zu sozialen Unruhen führen«

■ Interview mit dem Bezirksbürgermeister in Prenzlauer Berg zum Wohnungsproblem/ Billige Wohnungen an Westmieter?

Prenzlauer Berg. Der Bezirk wird öfter als größtes Sanierungsgebiet Europas bezeichnet. Seit Mai regiert in dem Bezirk mit der wohl schlechtesten Bausubstanz der Sozialdemokrat Dr. Manfred Dennert.

taz: Herr Bürgermeister, wieviel leerstehende Wohnungen gibt es zur Zeit in Prenzlauer Berg?

Manfred Dennert: Das Zahlenmaterial, das uns zur Verfügung steht, ist äußerst unzuverlässig — übrigens auch ein Ausdruck dafür, wie schlecht früher die Kommunale Wohnungsverwaltung gearbeitet hat. Es gibt Zahlen in der Größenordnung von 6- bis 8.000. Das jedoch sind teiweise regelrechte »Löcher« in Seitenflügeln und Hinterhäusern, in die wohl beim besten Willen niemand mehr einziehen will. Es ist auch zu erwarten, daß bei der dringend notwendigen Sanierung unseres Wohnungsbestandes radikaler entkernt werden muß.

Also Abriß?

Ja. Sicher muß das immer von Fall zu Fall entschieden werden. Wichtig dabei ist, daß man versuchen muß, Licht und Luft in die Innenhöfe zu bekommen. Unter dem Strich werden wir dann weniger Wohnungen zur Verfügung haben als vorher.

Wie hoch sind die Kosten?

Als wir unsere ersten Berechnungen anstellten, kamen wir auf eine Summe von 400 Millionen — pro Jahr. Nach der Währungsumstellung muß man auf Grund der gestiegenen Baupreise davon ausgehen, daß noch einmal 50 Prozent hinzukommen. Das wären pro Jahr 600 Millionen.

Wo sollen die denn herkommen?

Darüber gibt es bisher noch keine Vorstellungen. Man hat versucht, das, was in diesem Jahr anstand, auch zu bewältigen. Bis vor ein paar Wochen sah es jedoch noch so aus, als wenn wir nur sechzig Prozent der vorgesehenen Bauarbeiten realisieren könnten. Inzwischen haben wir aber noch zusätzliche Mittel erhalten.

Woher?

Sowohl vom Magistrat als auch von den entsprechenden Ministerien.

Gab es von westlichen Bauunternehmern schon mal ein Angebot, in Prenzlauer Berg zu bauen?

Angebote hatten wir schon eine ganze Menge. Sogar von Thurn und Taxis fragte bei uns nach. Allerdings geht es dabei vor allem um Leerflächen, auf denen Firmen Bürogebäude errichten wollen.

DDR-Bauminister Viehweger hatte laut darüber nachgedacht, daß man eigentlich nicht mehr beziehbare Wohnungen, also das, was sie vorhin als »Löcher« bezeichneten, an instandsetzungswillige Personen verschenken kann. Wäre das für Sie eine Lösung?

Ich meine, entweder ist der Wohnraum noch erhaltenswert — dann muß er in irgendeiner Weise instand gesetzt werden ...; und die Wohnungen, die langfristig nicht mehr dafür geeignet sind, in die sollte man kein Geld mehr stecken.

Wenn in einem Atemzug Geld und Wohnungen genannt werden, muß man natürlich auch über die Mieten reden.

Die relativ geringen Mieten, die wir zur Zeit haben, müssen natürlich parallel zur Einkommensentwicklung angehoben werden, so daß zumindest die Mittel, die für den Erhalt des Wohnraums nötig sind, durch die Miete reinkommen. Vor einiger Zeit hatte man ja von der Verdoppelung der Kaltmiete gesprochen — inzwischen gibt es aber Stellungnahmen des Magistrats und des Senats, die sich für eine Mietpreisregelung aussprechen. So wird davon geredet, daß die Mieterhöhungen im kommenden Jahr dreißig Prozent nicht übersteigen dürfen.

Neuerdings dürfen ja Westberliner mit Wohnberechtigungsschein auch im Osten Wohnraum beziehen. Ist das nicht für Prenzlauer Berg etwas problematisch?

Solange die Einkommen in Ost- Berlin bedeutend geringer sind als in West-Berlin, muß man absichern, daß die hier lebenden Berliner trotz ihrer ungünstigeren finanziellen Situation die Wohnungen, die hier vergeben werden, auch erhalten.

Die Wohnungsvergabe an Westberliner betrifft ja vor allem die privaten Häuser. Wie viele davon gibt es in Ihrem Bezirk?

Den Löwenanteil der rund achtzigtausend Wohnugen verwaltet zur Zeit die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft. Man rechnet allerdings damit, daß nach Klärung der Eigentumsverhältnisse nur noch ein Drittel des vorhandenen Wohnraumbestandes in kommunaler Hand sein wird.

Das hieße, daß die anderen zwei Drittel frei an Westberliner vermietet werden können?

Wie das dann genau gehandhabt wird, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Es ist aber auch im Westen so, daß ein Privatbesitzer nicht in jedem Fall frei über sein Haus verfügen kann, sondern daß er — je nachdem wie weit er öffentliche Mittel für die Instandsetzung in Anspruch genommen hat — verpflichtet wird, diesen Wohnraum für eine bestimmte Zeit als Sozialwohnung zur Verfügung zu stellen.

Das regelt aber noch nicht die Vergabe von billigem Wohnraum an Ostberliner?

Ich habe an entsprechende Stellen ein Schreiben gerichtet, in dem ich auf dieses Problem aufmerksam gemacht habe. Das ist ja eine sehr brisante Angelegenheit. Und ich kann mir vorstellen, wenn das eintritt, daß die Privaten ihre Wohnungen nur noch an materiell besser gestellte Westberliner vermieten, daß es dann zu erheblichen sozialen Unruhen kommen kann. Interview: Olaf Kampmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen