: „Das ist wie eine ansteckende Krankheit“
■ Interview mit dem Serben Vlatko Sekulović über Nationalismus und Antinationalismus
taz: Herr Sekulović, Sie waren bis vor zwei Monaten Abgeordneter der Liberalen Partei im serbischen Parlament und arbeiten nun am Aufbau einer antinationalistischen Opposition in Serbien. Wie engagieren Sie sich gegen den Nationalismus in Belgrad?
Sekulović: In Serbien ist zur Zeit nicht viel zu erreichen. Der Druck muß aus dem Ausland kommen. In Serbien denken viele Leute, daß Milošević mit Einverständnis des Westens handelt, daß er im Grunde die Schmutzarbeit der USA macht.
Was sollte der Westen davon haben?
Nichts, das weiß ich auch. Aber viele Leute in Serbien denken so, weil sie sich sonst nicht erklären können, was sie sehen. Die USA haben das Image einer Macht, die sie zuletzt im Golfkrieg bewiesen haben. Und diese mächtigen USA lassen Milošević seinen Nationalismus ausleben, und im amerikanischen Fernsehen darf er noch seine Statements abgeben. Das ist das, was die Leute mitkriegen und weshalb sie glauben, daß es den westlichen Ländern im Grunde ganz recht ist, wie Milošević und Karadžić mit den Moslems umgehen, daß der Westen es nur nicht offen sagen will. Als erstes muß der Westen klarmachen, daß es ihm ernst ist mit dem Kampf gegen den serbischen Nationalismus. Das wird auch den antinationalistischen Kräften in Serbien helfen. Denn bisher ist unsere Arbeit im Land selbst äußert schwierig.
Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Nationalismus in Serbien heißt vor allem, daß ganz bewußt das Zusammenleben von unterschiedlichen Völkern als unmöglich dargestellt wird. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist es deshalb, die Menschen immer wieder daran zu erinnern, daß sie viele Jahre zusammengelebt haben und daß das möglich ist. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr in Belgrad einen Gedenktag für Sarajevo organisiert. Belgrad und Sarajevo waren früher Partnerstädte. Wir werden das dieses Jahr wieder machen.
Was können Sie noch tun?
Reden, reden, mit den Leuten reden. Wir können nur immer wieder auf sie einreden, ihnen erklären, was dieser Nationalismus ist. Es gibt so viele unsinnige Meinungen, die absichtlich von der Regierung gestreut werden. Zum Beispiel, daß dem Westen der ganze Krieg recht ist. Unsere Aufgabe ist, diese Mythen zu widerlegen. Aber wir bräuchten dazu Papier, um Zeitungen zu drucken und Ausrüstung für Radiosender.
Wie viele Menschen engagieren sich in Serbien gegen den Nationalismus?
Wenige. Die Leute haben Schwierigkeiten, das alles zu verstehen. Die Ereignisse überrollen sie, alles geht zu schnell, die Leute bräuchten mehr Zeit, um zu verstehen. Zur Zeit ist die antinationalistische Bewegung schwach, wir werden kurzfristig kaum etwas verändern, das braucht Zeit. Die nationalistische Ideologie ist in vielen Jahren entstanden, wir werden auch Jahre brauchen, um sie zu zerstreuen. Aber das ist der einzige Weg. Ich glaube auch, daß im Ausland immer noch unterschätzt wird, welche schrecklichen Dinge Nationalismus mit sich bringt. Nationalismus ist wie eine ansteckende Krankheit, die sich immer weiter ausbreitet und die nur mit sehr drastischen Methoden geheilt werden kann. Interview: Alois Berger, Straßburg
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