piwik no script img

„Das ist wie Knast draußen“

■ Aktion gegen Kontaktverbot der „radikal“-Beschuldigten

Es erinnert an eine mittelalterliche Jahrmarktsvorführung, wie Ulli und Jutta so vor der Bremer Bürgerschaft sitzen. Eingekeilt zwischen drei Pappkartonsäulen, auf denen „Kontaktsperre“ steht. Schräg hinter ihnen parkt ein Polizeiauto. Vor ihnen bauen Winzer die ersten Stände für das abendliche Fest auf. Aus Blumenkübeln ragt ein Transparent „Für eine unkontrollierte Widerstandspresse.“ Ulli ruft den 80 Zuschauern zu: „Irgendwo neben mir soll Jutta sitzen.“

Die Inszenierung hat einen ernsten Grund. Der Oldenburger Ulli Faltin und die Bremerin Jutta Weißbach gehören zu den Beschuldigten im Verfahren gegen die linksradikale Zeitschrift „radikal“. Ein Jahr lang hatten sie gemeinsam mit Frank Großkinsky im Untergrund gelebt.

Vor zwei Wochen stellten sie sich dem Haftrichter. Eine Nacht verbrachten sie im Knast in Orlebshausen, dann wurden Ulli und Jutta auf freien Fuß gesetzt – mit der Auflage, nicht miteinander in Kontakt zu treten, weder mündlich noch schriftlich. Frank sitzt noch in Karlsruhe in Untersuchungshaft. „Das Kontaktverbot ist eine Verlängerung des Knastes nach draußen“, sagt Jutta und spricht von ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit.

Den Beschuldigten wird vorgeworfen, bei der verbotenen „Untergrundzeitschrift radikal“ mitzuarbeiten, die nach Meinung der Karlsruher Bundesanwaltschaft „für eine terroristische Vereinigung nach Paragraph 129a“ werbe. Insbesondere Großkinsky solle, so die Richter, in der neuesten Ausgabe unter dem Decknamen „quak“ mitgearbeitet haben. Es bestehe für Großkinsky Flucht- und Verdunkelungsgefahr.

Flora von der Kölner Soli-Gruppe tritt ans Mikro. Sie spricht über den Genossen Frank, der 23 Stunden täglich in Einzelhaft sitze. Er werde selbst zum einstündigen Hofgang von den anderen getrennt. „Freiheit für Frank“, fordert sie und „die Herausgabe der Ermittlungsunterlagen“.

Jutta sitzt auf den Stufen und hört zu. Sie sieht unter der gelben Schirmmütze etwas blaß aus. „Nein“, sie wolle jetzt gar nichts sagen, „später vielleicht.“ Auch der Anwalt möchte nichts sagen, schon gar nicht der taz. Nur Ulli sagt, er fühle die Drohung, „daß wir eingeknastet werden.“ Irgendwie sei es schon ein komisches Gefühl, in der linken Szene ein bekannter Mensch geworden zu sein. Langsam verlassen die Zuschauer die Szene. Ein Windstoß bläst die drei Kontaktsperren aus Pappe um. us

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen