Nachgefragt: „Das ist ja das Elend“
■ Bremer Experte Bernard Braun über die Finanznöte der Krankenkassen
Den gesetzlichen Krankenkassen droht ein Finanzkollaps wegen Defiziten in Höhe von vier Milliarden Mark. Wir sprachen über mögliche Beitragserhöhungen mit Dr. Bernard Braun. Er ist wissenschaftlicher Assistent im Zentrum für Sozialpolitik an der Bremer Universität und Krankenkassen-Experte.
taz: Wie kommt es zum Milliardenloch?
Dr. Bernard Braun: Die Krankenkassen haben höhere Ausgaben wegen der dritten Stufe der Gesundheitsreform. Die Kassen müssen danach zum Beispiel im Herbst jedes Jahr sogenannte Notopfer in Höhe von 20 Mark pro Versicherten für die Krankenhäuser bei ihren Versicherten einfordern.
Das wird wohl Verwaltungskosten von rund einer Milliarde Mark verschlingen. Außerdem hat laut neuem Gesetz jetzt jeder Versicherte das Recht, von Ärzten Kontoauszüge über Kosten und Leistungen einzufordern. Das kostet die Kassen noch mal rund zwei Milliarden Mark, macht insgesamt Verwaltungskosten in Höhe von drei Milliarden Mark.
Die Kassen haben bereits angekündigt, daß sie über höhere Beiträge nachdenken. Das heißt aber laut Gesetz auch, daß sie ihre Zuzahlungen erhöhen müssen.
Bei einem Prozent höherem Beitrag bedeutet das gestiegene Zuzahlungen bis zu zehn Mark pro Medikament.
Die Bremer Krankenkassen wollten ihre Beiträge eigentlich stabil halten. Welche Kasse könnte davon abweichen?
Es geht zum Beispiel der AOK relativ schlecht. Das liegt an der Mitgliederstruktur, denn es sind bei der AOK traditionell viele Familien, weniger Singles und viele Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen versichert. Bei den Ersatzkrankenkassen wie zum Beispiel der Techniker Krankenkasse sieht es anders aus. Sie hat Versicherte, die jünger sind und deshalb auch ein geringeres Erkrankungsrisiko haben und ein höheres Einkommen.
Bei Beitragserhöhungen kann man die Kasse aber laut neuem Gesetz kündigen?
Ja, jeder kann das als Kündigungsgrund angeben. Die Krankenkassen werben, aber oft mit glänzenden aber hohlen Argumenten. Da sollte man sich erst beraten lassen.
Jetzt fordern die Ärzte außerdem noch Milliarden von den Kassen zurück, weil die Patienten „Doktorhopping“wegen der neuen Chipkarte betreiben.
Darüber gibt es doch gar keine exakten Zahlen. Die Ärzte spielen da etwas gegeneinander aus: Sie haben nämlich ihr Budget aus den Jahren 1995 und 1996 bundesweit bis zu drei Milliarden Mark überzogen, die Kassen wollen dieses Geld zurück.
Der Patient und Versicherte steht zwischen diesen Finanzspielchen. Da bleibt nur noch die private Krankenversicherung?
Wer sich das leisten kann, wird das wohl auf Dauer machen, und das ist ja gerade das Elend. Denn unser System kann nur funktionieren, wenn die Gutverdienenden und Gesunden auch in den gesetzlichen Krankenkassen bleiben.
Fragen: Katja Ubben
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