Das endgültige Ende von Quelle: Tod eines Versandhändlers
Auf einer Betriebsversammlung teilt der Insolvenzverwalter mit, dass es keine Hoffnung für eine Rettung von Quelle gibt - eine persönliche Niederlage für Horst Seehofer.
Man könnte erwarten, dass sich an so einem Tag die Wut Luft macht, dass da hunderte aufgebrachter Mitarbeiter mit Pfeifen trillern und mit eilig gebastelten Transparenten wedeln. Aber nichts von alledem gibt es am Stadtrand von Nürnberg, nur Sarkasmus. Ob sie gerade den Film "Der Untergang" drehen, fragt ein Mitarbeiter die Kamerateams. Eine Frau hat ein blaues Werbefähnchen aus besseren Zeiten mitgebracht. Darauf steht in fröhlicher Schreibschrift "Quelle sagt Danke".
Die meisten Mitarbeiter sagen gar nichts, als sie die Treppe hinab zum Personaleingang des Quelle-Kaufhauses strömen. Drinnen wird ihnen an diesem Nachmittag in einer Betriebsversammlung verkündet, dass es ihr traditionsreiches Versandhaus bald nicht mehr geben wird, dass alle Hoffnung umsonst war; dass nun auch die 6.600 verbliebenen Beschäftigten vor der Arbeitslosigkeit stehen könnten und damit alle der vormals 10.500 Jobs verloren gehen.
"Nach intensiven Verhandlungen mit einer Vielzahl von Investoren sehen Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss keine Alternative zur Abwicklung von Quelle Deutschland mehr", verkündet der Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg trocken. Die Banken hätten die Finanzierung des Versandgeschäfts über den 1. Januar hinaus nicht mehr übernehmen wollen. Das sei aber eine Bedingung der Kaufinteressenten gewesen. "Es ist aussichtslos", sagt Gesamtbetriebsratschef Ernst Sindel.
Kann ich als Kunde bei Quelle noch bestellen und werde ich die Ware auch erhalten?
"Man kann bestellen und die Bestellung wird bearbeitet", sagte der Sprecher des Insolvenzverwalters, Thomas Schulz, am Dienstag. Solange die Ware im Lager verfügbar sei, werde auch noch geliefert. Schwierig werde es mit Nachbestellungen.
Was passiert, wenn ein Kunde schon bezahlt, die Ware aber noch nicht erhalten hat?
Laut Schulz wird die Ware ausgeliefert, wenn sie verfügbar ist. Andernfalls werde der Kunde zum Gläubiger. Vorkasse sei aber nur ein kleiner Teil beim Versandhandel, in dem das Ratenkreditgeschäft die Hauptrolle spiele.
Bin ich als Kunde dann möglicherweise jetzt meine Ratenverpflichtungen los?
Nein, denn Quelle hat seine Forderungen an die Banken abgetreten. "Diese werden wohl kaum auf Geld verzichten wollen", erklärte der Sprecher.
Wie steht es um den Kundendienst?
Schulz: "Während der Abwicklung wird der technische Kundendienst Profectis möglicherweise aufrechterhalten. Vielleicht gibt es auch einen Käufer dafür. Dem Kunden bleibt in jedem Fall die Herstellergarantie." (dpa)
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) spricht am Nachmittag von einem "schweren Schlag für die Region Nürnberg/Fürth" und beteuert: "Wir haben nichts unversucht gelassen und das Menschenmögliche getan, um Quelle eine Fortführungschance zu geben." Das Quelle-Desaster ist auch ein Scheitern der Politik. Als im Sommer bei Quelle und dem Mutterkonzern Arcandor die Krise akut wurde, eilte er nämlich in die Konzernzentrale nach Fürth, versprach Hilfe und posierte mit dem Quelle-Katalog. Die Opposition lästerte schon damals, Seehofer gehe es eher um wahlkampfwirksame Bilder denn um die Rettung von Arbeitsplätzen. Zumal sich auch Seehofers Parteifreund, der Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zunächst zurückhielt. Erst mit wochenlanger Verzögerung vergaben die Länder Bayern und Sachsen mit dem Bund einen Massekredit über 50 Millionen Euro, der nach der Insolvenz am 1. September den Betrieb bis zum Jahresende sicherstellen sollte.
Bayerns SPD-Chef Florian Pronold findet nun, die CSU habe nicht genug getan. Guttenbergs Zögern habe Investoren verschreckt. Die Politik der CSU sei "blanker Zynismus gegenüber den Mitarbeitern gewesen", sagte Pronold dem Münchner Merkur.
Um Quelle fit für den Verkauf zu machen, entließ der Insolvenzverwalter seit dem Sommer 3.900 Mitarbeiter. Seehofer zimmerte eilig eine Auffanggesellschaft und kündigte ein Strukturprogramm für die Region an. Eigentlich ist für solche Maßnahmen Wirtschaftsminister Martin Zeil von der FDP zuständig. Doch die CSU lästerte, dessen Ministerium sei "überfordert". Auf die Realisierung der versprochenen Wohltaten warten die Menschen in Fürth und Nürnberg aber noch heute. Auch als es Quelle noch gut ging, lag die Arbeitslosenquote in Nürnberg und Fürth mit 8 Prozent doppelt so hoch wie der bayerische Durchschnitt.
Die Abwicklung hat derweil schon begonnen. Im Quelle-Kaufhaus am Rand von Nürnberg drängen sich die Schnäppchenjäger. Wo einst volle Regale standen, sind heute leere Wände. Dazwischen stehen Wühltische, von der Decke hängen Werbeschilder für radikale Rabatte. In der Konzernzentrale in Fürth erinnern nur noch zwei kleine blaue Quelle-Fähnchen an den frühen Stolz. Insolvenzverwalter Görg will nun profitable Unternehmensteile verkaufen: Spezial-Versandsparten wie Hess Natur oder Baby Walz. Oder den Homeshopping-Kanal HSE 24. Für den Rest sieht es düster aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers