: Das dritte Coming-out
■ In Hamburg besteht beinahe keine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema "Aids" / Der Hamburger Künstler Michael Bender hat jetzt seine Krankheit in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt
Blut stellt die Schwelle zwischen Leben und Tod dar. Innerhalb unseres Kulturkreises gilt es gleichzeitig als Synonym für Leben, Unschuld, tiefste Bindung, Tod, Gewalt und Schmerz. Durch diese ambivalente Bedeutung ermöglicht es, die Bedingtheit von Schmerz und Leben, Tod und Bindung zu reflektieren und mythologisch, gesellschaftlich und persönlich einzuordnen. Meist weibliche Künstlerinnen, wie zuletzt Jenny Holzer mit ihrem spektakulär mißverstandenen Blutdruck des Magazins der Süddeutschen Zeitung, haben in der Vergangenheit den roten, menschlichen Transportstoff für drastische Werke in der Kunst verwendet.
Eine neue Bedeutungs-Dimension bekommt Blut als Werkstoff im Zeichen von Aids, wie der Hamburger Künstler Michael Bender es verwendet. Bender (31) arbeitet mit seinem Blut. Der Künstler weiß seit acht Jahren, daß er HIV-positiv ist. Vor zwei Jahren ist die Krankheit ausgebrochen. Seitdem teilt er sein Leben in Stationen. Das erste Coming-out als Homosexueller, sieben Jahre später das zweite, die Nachricht, HIV-positiv zu sein. Als drittes Coming-out bezeichnet er den Ausbruch der Krankheit und die gleichzeitige Öffentlichmachung. Die Parallelität sieht Bender schon in den Begriffen: 'Manifestation' nennen die Ärzte den Ausbruch einer latenten Krankheit, 'Manifestation' ist in der bildenden Kunst die Aus-Stellung eines künstlerischen Werkes.
Seine Arbeiten sind Ausdruck der Erfahrung mit seiner Krankheit. Bei der Auswahl des künstlerischen Materials waren ihm Au-thentizität und Natürlichkeit eine Maßgabe. Es sind die Gegenstände, die die Farben tragen, nicht Farben allein existieren. So zwingt die Gewinnung der Farbe „Blut“ zur Beschäftigung mit dem Material „Blut“. Es ist Bedeutungsträger in der künstlerischen Anwendung und im Leben.
„Das Blut ist Teil meines Körpers“, sagt er. Die Bilder, die damit entstehen, sind eine Visualisierung der alltäglichen Widerfahrungen, etwa in den Krankenhauslabors. Dort werden laufend maschinell sogenannte kleine Blutbilder erstellt. Blutproben werden analysiert und die Werte, auf Computerbogen ausgedruckt, in die Stationsmappe gelegt. Es ist eine Serienuntersuchung, die den behandelnden Arzt über den Zustand des Patienten informiert. Die klinische Methode, der sich Michael Bender regelmäßig unterziehen muß, das Blut seriell zu bedeutsamen Zeiten zu betrachten, verfremdet er im „Kleinen Blutbild“ und macht es dadurch künstlerisch ästhetisiert anschaubar.
Unprätentiös, analytisch sachlich wirken die in Wachs eingegossenen Zahlen, Zeiten und Potenzen. Doch die Bedeutung erschließt sich dem Betrachter nicht sofort. Während er eine Reihe dieser in Stahl gerahmten, scheinbar identischen Bilder abgeht, bei denen sich lediglich die Zeiten und Werte ändern, schreitet er gleichzeitig den Zeitraum ab, im dem sich ein HIV-Virus weiterentwickelt. Die Wachsschicht wirkt beruhigend weich und verleitet zum Anfassen.
Makaber und an Tabus rührend dagegen die „Blutkreuze“. Mit Blut hingewischt auf handgeschöpftes Papier in Form eines Pluszeichens und eines Kreuzes assoziieren sie das Tod-Verkündende „Positiv“ und seine Analogie im christlichen Todes-Symbol. Diese blasenwerfenden roten „bloodpaintings“ wirken bedrohlich konkret, treffen sinnlich und beängstigend. „Das ist ja eklig“, entfährt es einer Besucherin auf der Ausstellung, als sie erfährt, wie der Farbton gelungen ist.
Die Gegenüberstellung und Herausgabe schafft Distanz und ermöglicht eine neue Sichtweise auf die Krankheit. Betrachten, Erkennen, Bewußtwerden als Lebensform, als Kunstform. Dennoch erscheinen die Blutbilder in ihrem weich im tragenden Material aufgefangenen Charakter unwiderstehlich anziehend. Die technische Sterilität der medizinischen Maschinerie wird in den ihr gebührenden Hintergrund gerückt, im Vordergrund bleibt die Verletzbarkeit menschlichen Lebens.
Für Michael Bender ist die konzeptuelle Arbeitsweise heute eine adäquate Form, seinem Anspruch an Leben und Kunst gerecht zu werden: „Ich habe in dem Rahmen, wie ich mich in der Concept Art bewege, auch ein Konzept für mich selbst gefunden, wie ich die Auseinandersetzung mit Aids visualisiere, ohne Betroffenheitskunst zu machen. Das hat konzeptuellen Charakter.“
Für die Theateraufführung „red, blue and yellow“ der Gruppe Lubricat, eine Montage aus Text, Musik, Tanz und bildender Kunst, die in verschiedenen Tableaus an einen an Aids verstorbenen Freund erinnert, hat Bender das Bühnenbild erstellt. Farbige Diaaufnahmen seiner Augäpfel, auf dem bei einem Auge der CVM-Virus zur allmählichen Erblindung führt und seine Spuren hinterläßt, sind in Leuchtkästen paarweise aufgestellt. Das Augenlicht, das von innen langsam erlischt, wird von außen ausgeleuchtet - in seiner Farbenpracht an Sonnenuntergänge erinnernd. Die Fotoaufnahmen sind Augenhintergrundspiegelungen. Diagnose im Ärztehandbuch: „Untreated: progression to bilateral blindness within six month“ (Unbehandelt wird die Entwicklung innerhalb von sechs Monaten zu bilateraler Blindheit führen). Auch diese Bühnenarbeit ist in der Ausstellung „Kleine Formate“ zu sehen, die heute eröffnet wird.
Benders Arbeiten haben alle den ästhetischen Charakter behalten, auf den er auch in früheren Objekten Wert legte. Dazu gehören besonders die Arbeiten in der Enkau-stik-Technik. Vorlagen aus Pornoheften fotografiert sind auf Folie kopiert, eingeschweißt und in Bienenwachs getaucht. Die vorhandenen Konturen werden dabei unendlich weich, die Farben bleiben in einer ruhig gefangenen Klarheit konserviert. Diese Technik wird weiterhin verwendet, jedoch sind die Arbeiten heute kompromißloser - wie die Krankheit auch.
Themen wie Lust oder Erotik verlieren an Bedeutung angesichts der voranschreitenden Erblindung. „Das Blindwerden ist schlimmer als das Sterben“, sagt Bender erdrückend unverzweifelt. Wo die Kunst Leben ist und Kampf für das Leben, mag man das eine nicht vom anderen unterscheiden.
Elsa Freese
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