■ Das bündnisgrüne Zentrum und die Neu(st)e Mitte: Eine absurde Diskussion
„In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod.“ An diese Weisheit Alexander Kluges verschwenden die Bündnisgrünen offenbar keinen Gedanken. Die Partei, die (noch) keine Volkspartei ist und sich früher als „links“ apostrophierte, konkurriert aktuell mit anderen um die „mittigste Mitte“, um das Zentrum der Mitte. Deshalb heißt die neue Strömung bei den Grünen auch „Zentrum“.
Im Zentrum von „Zentrum“ steht Reinhard Bütikofer vom Bundesvorstand – ein Mann mit dem Charisma eines beleidigten, auf dem Rücken liegenden Maikäfers. Der wahrhaft „mittige“ Volkstribun der Partei und beliebteste Politiker der Republik, Außenminister Joschka Fischer, wurde dagegen nicht zur Gründungsversammlung des „Zentrums“ geladen; und Umweltminister Jürgen Trittin auch nicht. „Zu festgelegt“ seien die beiden Berufspolitiker, so die „Zentrumspolitiker“ bei den Bündnisgrünen.
Wie bitte? Fischer auf der rechten Außenbahn? Und Trittin auf der linken (Überhol-)Spur? Mit Tendenz zum Crash? Die Probleme von Bütikofer und den anderen „Zentristen“ wie etwa Tom Koenigs möchten andere gerne einmal haben. Die Bündnisgrünen als Mikrokosmos der Parteienlandschaft: alles ab durch die Mitte. Bei dem Gerangel in der „Mitte“ werden die Menschen „draußen im Lande“ (Kohl) kaum noch einen Politiker mit Konturen erkennen können; und eine politisch klar positionierte Partei auch nicht mehr.
Dabei gehören Flügelkämpfe – wie noch Ende der 80er Jahre – aktuell ganz sicher nicht mehr zu den existenziellen Problemen der Grünen. Vielmehr bricht ihnen in den Kommunen und Ländern die Basis weg. Frustration bei den „Alten“, kaum Engagement von jungen Leuten – überall mangelt es an qualifiziertem Personal. Im Osten droht das Desaster. Wenn jetzt ein neuer Aufbruch wie aktuell von den jungen Kandidaten der Partei für den Landtag im Saaland gewagt wird, dann stehen Wählerbedürfnisse im „Zentrum“ der politischen Aktivitäten.
Ist „dem Volke dienen“ zu linkslastig? Oder zu populistisch-rechtslastig? Oder gerade „mittig“, zentristisch eben? Die Diskussion um ein „Zentrum“ bei der Mittelstandspartei Bündnis 90/Die Grünen ist absurd. Überfällig ist eine Runderneuerung des politischen Profils der Partei. Bleibt alles „mittig“, unverbindlich, bütikoferisch und röstelisch, dann wird die „kluge“ Weisheit bald Wahrheit. Dann kommt der (politische) Tod auf dem Mittelweg – und holt zuerst die „Zentristen“. Klaus-Peter Klingelschmitt
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