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Das „andere Israel“ meldet sich

Nach einer jüdisch-arabischen Großdemonstration in Tel Aviv, die unter anderem den sofortigen Abzug der Siedler aus Hebron forderte, gerät Rabin im Kabinett weiter unter Druck  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Es war nach langer Zeit die erste Großdemonstration, die die israelische Friedensbewegung zustandegebracht hat. Am Samstag, eine Woche und einen Tag nach dem Massaker von Hebron, trafen Zehntausende von jüdischen und arabisch-palästinensischen Demonstranten unter dem „Peace Now“-Banner auf dem Tel Aviver Rathausplatz zusammen. Viele Teilnehmer waren per Bus aus Jerusalem, Haifa und verschiedenen Kibbuzsiedlungen angereist. Vor allem aus Jaffa und den arabischen Dörfern des sogenannten Dreiecks nordöstlich von Tel Aviv waren vor allem palästinensisch-israelische Jugendliche gekommen. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 25.000, die Organisatoren sprachen von 100.000.

Auf der Rednertribüne vor dem Rathaus erklärte der Sprecher von Peace Now, Arnon, das Massaker von Hebron sei eine politische Tat gewesen, um den Friedensprozeß zum Scheitern zu bringen. Diese Demonstration zeige aber, daß das Vorhaben gescheitert sei. Der Schriftsteller Jitzhar rief dazu auf, die jüdischen Siedler sofort aus Hebron abzuziehen. Die Parole müsse jetzt lauten: „Siedler zuerst raus aus Gaza, Jericho und Hebron“. Womit er meinte, daß die Räumung der übrigen besetzten Gebiete in Zukunft folgen müsse. Aufkleber mit der Aufschrift „Hebron First“ wurden verteilt – eine Anspielung auf den Plan der Regierung, ihre Truppen aus „Jericho und Gaza First“ abzuziehen. Demonstranten trugen Plakate mit der Forderung nach Entwaffnung der Siedler, Beendigung der Besatzung und Errichtung eines palästinensischen Staats. Hier und da wurden palästinensische Fahnen getragen, vor allem in den Reihen des kleinen „Friedensblocks“.

Die Demonstranten hatten sich am Samstag abend, zum Sabbat- Ende, vor dem Tel Aviver Museum versammelt und waren von dort in einem Fackelzug zur Kundgebung am Rathausplatz gezogen, die mit einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers in Hebron begonnen wurde.

Hier und da gab es Konfrontationen mit wild gestikulierenden und lautstarken Gegnern aus dem sogenannten „nationalen Lager“, die gekommen waren, um die demonstrierenden „Verräter“ zu verfluchen. Kein Wunder, denn die Kundgebungsteilnehmer skandierten unter anderem einen hebräischen Reim, zu deutsch: „Eins, zwei, drei, vier: reißt jetzt Kiriat Arba ein!“ Kiriat Arba liegt bei Hebron und ist eine der Hochburgen der Siedler. Der Attentäter von Hebron wohnte dort.

Peace Now macht sich unter dem Eindruck der Ereignisse allmählich Forderungen zu eigen, nach denen sich Israelis und Palästinenser über den ursprünglichen, von Israel diktierten „Bummelzug- Fahrplan“ des Friedensprozesses hinwegsetzen sollen, um die Verhandlungen über die Endphase gleich an das möglichst rasch zu realisierende „Gaza-Jericho First“-Projekt anzuschließen. Die Demonstration endete mit dem Aufruf an Ministerpräsident Rabin, den Friedensprozeß zu beschleunigen, das Ausgehverbot für die Palästinenser in den besetzten Gebieten aufzuheben, und alle palästinensischen Gefangenen freizulassen.

Immer wieder kam das Gespräch unter den Teilnehmern auf die Frage, wie sich die bevorstehende Erweiterung von Rabins Koalitionsregierung um die rechtsorientierteren Parteien „Tzomet“ von Rafael Eitan und die orthodox-religiöse „Schass“-Partei auf den Friedensprozeß auswirken werde. Man war sich einig, daß es nichts Gutes zu bedeuten habe, wenn Rafael Eitan, der ehemalige Armeestabschef Ariel Scharons im Libanonkrieg 1982, auf seinen eigenen Wunsch hin jetzt Minister für Polizei und Innere Sicherheit wird. Der linke Koalitionspartner „Meretz“ protestiert zwar, aber bislang weiß niemand, ob er stark genug ist, den drohenden Rechtsruck aufzuhalten, der jetzt mehr denn je schweren Schaden anrichten würde.

Gestern, am Tage nach der Demonstration, wurde bekannt, daß Rabin zumindest in einem Punkt von seinem Kabinett überstimmt wurde. Neun von vierzehn Ministern sprachen sich dafür aus, die 400 jüdischen Siedler aus dem Gebiet von Hebron umzusiedeln.

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