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taz FUTURZWEI

Das Z in GenZ steht für Zaudern Coming of Age in Kalbe

Warum bekommt man den Eindruck, die Generation Z könne sich so schwer für etwas entscheiden – selbst, wenn es etwas Gutes ist?

Es könnte auch Arons Zimmer sein: Installation des Vereins „Künstlerstadt Kalbe“ Foto: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Von ARON BOKS

taz FUTURZWEI, 03.08.23 | Vielleicht hätte ich einfach nicht auf dieses Techno-Festival fahren sollen, denke ich und versuche meine Endorphine aufzuwecken, während nebenan der Nachbarshund seine Lunge auskotzt.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Vor Kurzem bin ich von Berlin aufs Land gezogen. Für ein Schreibstipendium in Kalbe (Milde), im Norden Sachsen-Anhalts. Um das gleich vorwegzunehmen: Das ist super-cool, eine super Institution, alles super. Eigentlich.

Es geht um etwas anderes:

Kurz nachdem ich mir hier fröhlich ein Atelier ausgesucht habe, bin ich noch einmal mit Mira und ihren Freund:innen, die ich alle erst seit Kurzem kenne, auf ein Festival gefahren und in meinem Kopf stehe ich noch immer völlig verschallert neben Mira, während der Bass und die anderen weiter in die Open Airs und Clubs dieses Sommers ziehen. Ich bin verliebter als je zuvor: in Mira, in Techno und in Berlin. Jetzt ist es Dienstagmorgen und ich bin in Kalbe – aber der Party-Gruppenchat macht keine Pause. Das Handy vibriert.

„In zwei Wochen wieder Festival?“

Entscheiden oder Durchdrehen?

Wochenlang habe ich überall davon erzählt, was dieses Landarbeitleben für eine tolle Gelegenheit ist. Doch kaum bin ich hier – und noch bevor ich mit der Arbeit beginne – schiebt sich so ein zusammengegrübeltes Idealbild vom Berliner Sommer ins Fenster, in dem lauter Leute 24/7 mit breitem MDMA-Grinsen und kühlem Bier am Kanal sitzen. Ich hingegen sitze hier trüb und ungeküsst auf einem 90 cm Bett in diesem ansonsten unmöblierten Zimmer. Jedes neue Möbelstück eine potenziell falsche Entscheidung, jeder verbrachte Arbeitstag möglicherweise einer in die falsche Richtung. Was ist, wenn ich hier zwar arbeiten kann, gleichzeitig aber mit meiner Abwesenheit die Möglichkeit verspiele, in diesem Sommer mit Mira und ihren Freund:innen die beste Zeit meines Lebens zu haben?

Ein Anruf von Ruth.

„Ich versteh dich voll“, sagt sie, als ich ihr von meiner Situation erzähle und, dass sie damals beinahe das Angebot auf den Job bei der Zeitung ausgeschlagen hatte, auf den sie sich selbst beworben hatte.

„Hä, wieso?“

„Keine Ahnung – es war Sommer und ich hatte überlegt durch Spanien zu reisen und vielleicht einen Roman zu schreiben“, sagt sie. Sie hat gerade nicht viel Zeit: dringende Wohnungssuche. Und auch da aktiviere ich, wenn auch unterschwellig, die selbe Gedankenspirale: Obwohl die Zwischenmiete in ein paar Tagen endet, tausende Bewerber:innen auf eine Wohnung in Berlin kommen, könnte irgendwo trotzdem noch eine geilere Bleibe warten, die mit einer Unterschrift im Mietvertrag futsch wäre.

„Aber irgendwann musst du dich halt entscheiden, sonst hast du irgendwann gar nichts und drehst durch“, sagt Ruth, und dass sie das letzte Wochenende im Großraumbüro eines Freundes übernachtet hätte.

Generation der Vergleichsmöglichkeiten

Später erfahre ich vom Jugendforscher Simon Schnetzer, dass Ruth und ich nicht die einzigen sind, die ein Problem in Sachen Lebensplanung haben. Simon bringt jedes Jahr eine neue Trendstudie raus, die das Verhalten der Generation Z untersucht – also den Leuten, die so zwischen 1995 und 2010 geboren sind.

„Die Sorge, eine falsche Entscheidung zu treffen ist aufgrund der vielen Möglichkeiten groß", schreibt er mir in einer Mail. „Aufgrund des permanenten Sich-Vergleichens über Social Media, wirkt jede Entscheidung im Licht der ach so tollen Leben der anderen fahl. Sich auf eine neue Situation einlassen ist oft mit Reibungen und Anfangsschwierigkeiten behaftet. Es ist für junge Menschen nicht mehr so attraktiv, sich da durch zu beißen, weil es so wirkt, als würde es allen anderen so easy von der Hand gehen. Außerdem buhlen viele Arbeitgeber um junge Menschen, wodurch es so scheint, als ob es viele Alternativen gäbe.“

Ganz generell sei das Optionsdenken für viele in diesem Alter aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht möglich. Wenn das Geld jedoch da sei, dann hätten Reisen oder Festivals für die meisten Menschen unseren Alters einen höheren Stellenwert als die Idee, Geld für schwere Zeiten oder den Ruhestand bei Seite zu legen.

Mehr Geld, mehr Freiheit, mehr Angst möglicherweise einen falschen Lebensweg zu wählen, denke ich.

Es bleibt ein Teufelskreis. Und wenn sich Reizüberflutung und Entscheidungsschwierigkeiten mit der Ungewissheit einer neuen Verliebtheit verbündet, dann wird's richtig wirr. Während ich Simons E-Mail lese, erinnere ich mich daran, wie ich vorgestern meine Eltern angerufen habe, um mir Geld zu leihen. Denn nach dem Festival war ich ziemlich pleite, gleichzeitig der Panik-Überzeugung, im Ernstfall immer nach Berlin fahren zu können und dort ein Airbnb zu buchen – oder auf das nächste Festival zu gehen. Außerdem brauche ich ja was zu essen, was ich angesichts der zugespitzten Lage in einem ziemlichen U8-Druggie-Tonfall durchgegeben haben muss.

Die ehrlich besorgte Eltern-Erinnerung am Telefon: „Es ist Anfang des Monats!“

Simon Schnetzers Fazit in der Mail: „Die Jugend ist gestresst und muss noch lernen, damit umzugehen.“

Angst vor der Selbstkritik

Ich denke an Ruth, die sich für den Bürojob beworben hatte, obwohl sie wusste, Bindungsprobleme in Büros zu haben. Genau wie ich wusste, dass ich Berlin liebe, als ich mich auf dieses Land-Stipendium beworben habe. Vielleicht fällt es uns gar nicht so schwer, Entscheidungen im Allgemeinen zu treffen. Schwer fällt nur der Gedanke, den Moment auszuhalten, in dem die getroffene Entscheidung an einem klebt, während man sieht, wie super das Leben der anderen anscheinend läuft.

Oder der Gedanke, dass dann, wenn es schon zu spät ist, die Selbstkritik in FDP-Manier daherkommt: kleine, flinke aufgestylte Gedanken, die einem aber erst nach dem Scheitern erklären, wie man es hätte besser machen können.

Entscheidungen sind gruselig, denke ich. Aber gleichzeitig können sie auch eine Rettungsinsel im ewigen Strudel der Konjunktive sein, in dem man immer wieder was Neues machen könnte, aber nie damit beginnt. Und der einzig hilfreiche Konjunktiv lautet vielleicht: Könnte auch geil werden.

Aber könnt' ich das noch umtauschen?

Am nächsten Morgen kaufe ich mir als erstes Inventar für meine leere Wohnung einen Kasten Bier im örtlichen Getränkeshop und bleibe auf dem Weg zurück vor dem Fenster eines Blumenladens stehen.

Wer sich für einen Ort entscheiden will, aber damit Probleme hat, sollte vielleicht niedrigschwellig anfangen, denke ich. Vielleicht mit Zimmerpflanzen. Das ist ambitionierter als eine Treuepunktekarte im örtlichen Backshop aber weniger ernst als gleich ein Haus zu bauen oder für den Stadtrat zu kandidieren.

Ich kaufe drei unterschiedlich grüne Pflanzen und erzähle der Verkäuferin ungefragt, dass ich aus Berlin hierher gezogen bin.

„Na, dann kümmern sie sich mal schön um die drei Hübschen!“, antwortet sie.

Kaum bin ich ein paar Schritte aus der Tür gegangen, kehre ich um.

„Entschuldigung, aber kann ich die noch umtauschen?“

„Sicher, aber wieso sollten sie das tun?“

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe … jeden Tag gießen und ...“

Lachen. Keine Ahnung, was daran so lustig sein soll.

„Keine Sorge, es reicht völlig aus wenn sie das einmal pro Woche machen", sagt sie. „Herzlich Willkommen bei uns!“

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.