: Das Wetter frisch von der Backfolie
Vorwiegend bemüht: TV-Wetterberichte zwischen Plauderei und Wissenschaft, Tradition und Erneuerung ■ Von Achim Becker
„Erdbeben in Bayern legt CSU-Geschäftsstelle lahm“, „Kornfeldkreise in Spandau gesichtet“ — das Tagesgeschehen interessiert die Fernsehnation. Doch erst wenn der Wetterbericht angekündigt wird, zischelt Vattern „Psst!“ ins Sofa-Eck, dreht Muttern die Lautstärke hoch. Die rituelle Andacht kann beginnen, nichts erwarten die ZuschauerInnen mit größerer Spannung als das Wetter von morgen. Als die altbewährte Frontstadt-Abendschau des Senders Freies Berlin (SFB) anläßlich ihrer zehntausendsten Sendung fragte, was geändert werden sollte, antwortete ein Zuschauer: „Die könnten ruhig mal den Wetterbericht modernisieren.“
Obwohl man sich in den Sendeanstalten der Beliebtheit des Wetters gewiß ist, wird es immer noch vorzugsweise an das Ende des Nachrichtenblocks gehängt, meist geschieht das am Ende einer Nachrichtensendung, als handele es sich um eine unangenehme Verdauungsstörung, die man erst erwähnt, wenn es sich gar nicht mehr verheimlichen läßt.
So sagt auch die obligatorische Ankündigung des Wetters viel über das Selbstverständnis einer Sendung aus: Unvergessen ist Friedrich Nowottny, der seinen Bemerkungen im Bericht aus Bonn ein ebenso nahtloses wie trockenes „das Wetter“ anhängte. Heute gestalten die AnsagerInnen die Überleitung meist mit bemühter Phantasie. Im inzwischen abgewickelten Deutschen Fernseh- Funk (DFF) zum Beispiel hieß es im Anschluß an den Ratgeber Recht bedeutungsschwanger: „Viele Fragen bleiben offen, gerade bei Beziehungskisten. Da bittet manch einer um Schönwetter.“ Im WDR setzt die Ansagerin auf Selbstreflexion: „Nach den heutigen Erfahrungen habe ich mir das Wetter von morgen weniger naß und grau vorgestellt, aber so soll es werden...“ Da wirkt die klassische Ansage der ARD-Tagesschau geradezu exotisch: „Und nun die Wettervorhersage für morgen, Freitag, den...“
Geht's dann endlich los mit der begehrtesten Nachricht des Tages, bleibt die Phantasie der Sender endgültig auf der Strecke. Das Wetter, wie's war (wen interessiert das?), das Wetter, wie's wird, Satellitenfilm und/oder Computergraphik — Ende. Das H steht für ein Hoch, das T für ein Tief, bunte Linien und Pfeile markieren die Aktivitäten, was zwar sehr wissenschaftlich ist, aber für den Laien in dieser Ausführlichkeit nicht unbedingt von Interesse. Von Europa ist die Rede, von Deutschland und manchmal auch von regionalen Gebieten. Wenn die Sonne im Bild für den Tag steht und der Mond für die Nacht, wird zumindest dem klaren Verständnis Vorschub geleistet. Manchmal huschen auch auch dunkle oder helle Wolken umher — je nach Wetterlage. Der DFF (Wettergott hab' ihn selig) erklärte vieles zusätzlich durch geschriebene Worte— vielleicht traute man seinem Publikum den Durchblick sonst nicht zu. Die besagte Abendschau hat— hübsch, aber leider klitzeklein— das Brandenburger Tor und den Fernsehturm in ihrer Graphik. Da ahnt man gleich: Hauptstadtwetter!
Wie auch immer, all das kommt dröge und uninspiriert daher. Kaum verständlich, warum nicht die moderne Computergraphik genutzt wird, um zumindest das Wetter auf dem Schirm ausdrucksstärker und unterhaltsamer zu machen. Das überm Schirm taugt sowieso nichts. Warum sollen nicht böse schwarze Wolken mit ihren spitzen Regenschauerwaffen gegen die gute alte Sonne losgehen? Der hilfreiche Südwestwind kann dann immer noch unter Fanfarenklängen alles wegpusten.
Manchmal werden die Klimaereignisse auch persönlich präsentiert, quasi von Mensch zu Mensch. Dann stehen bei ZDF und 3Sat die Sachkundigen vor bildschirmausfüllenden Satellitenfilmen und erklären und steuern das Wetter mit einer Art mobilem Joystick in der Hand.
Aber es gibt auch Präsentationsformen, die sich von der Tradition lösen. Mit Charme vermag das der Berliner Lokalkanal FAB: Im Fenster aus Berlin erzählen Passanten kurz und bündig, wie's wird, lächelnd oder schmollend. Aufwendiger ist Sat.1 mit den vierminütigen Wetternews. Zu „flotter“ Musik zeigt schon der Vorspann, was man mit Wetter alles machen kann und daß Wetter für alle da ist: Skifahrer, eine alte Frau auf einer Parkbank, wüste Meereswellen, düstere Wolken, einen fröhlichen jungen Mann mit freiem Oberkörper, eine Windmühle, einen nackten Kinderpo am Strand, stilvolle Landschaften. Und dann geht's los: Auftritt der Entertainer. Ob es Manfred Erwe ist oder Christina Böhnke, erst einmal wird geplaudert. Zum Beispiel über Schmetterlinge oder den Kollegen, der im sonnigen Süden weilt: „Aber die kühle Jahreszeit hat auch ihre Reize, habe ich mir da gedacht.“ Horoskopisch!
Überhaupt wird gerne geredet im Wetterbericht. Ganz lehrreich bei 3Sat zum Beispiel über die Wasserverdunstung des tropischen Regenwaldes und darüber, daß die Savanne langsam vertrocknet. Während bei den Wetternews Erwe seine kumpelhafte Art pflegt, scheint er auf der stark verkleinerten Oberfläche Europas zu stehen. Die moderne Technik ermöglicht es ihm, mit wenigen Schritten Riesendistanzen zu bewältigen. Sat.1 versteht es auch geschickt, den hochtrabend so genannten Klima-Report mit der Werbung zu verbinden. So waren es früher die prall gereiften Dittmeyer-Orangen, die anzeigten, wo die Sonne schien. Heute müssen Apfelsinen nicht mehr als Sonnen herhalten oder gar Bananen als Halbmonde. Die Verquickung ist direkter geworden. „Das ist der Weckenmann, den meine Mama für mich gebacken hat; und das ist das Backpapier von Melitta Toppits; und das ist das Wetter von morgen“, begeistert sich ein kleiner Junge. Nachher sehen wir ihn wieder, mit einem letzten Rest Krümeln. „Das war das Wetter von morgen, und das war der Weckmann, den meine Mama mir gebacken hat auf dem Backpapier von Melitta Toppits.“
Ist das vielleicht nicht doch zu viel des Guten? Wenn schon, dann sollte man gleich richtig über die Stränge schlagen: Wo bleibt der Show-Teil mit internationalen Stars? Hier könnten die Eurhythmics ihr Here comes the rain again singen und Johnny Nash I can see clearly now, the rain is gone. Wo bleibt das Fernsehballett in Regenmänteln? Und wo bleibt die Einbindung der Zuschauer, die beim Gewinnspiel das Wetter der folgenden Tage prognostizieren?
Führend bei Geschwalle und Lebenshilfe ist und bleibt RTLplus. Wenn Hans Meiser vom Nachrichtenblock zum Wetterteil überleitet, verweisen Anne Kellers erste Worte auf das zu erwartende Wetter. Wird's schlecht, sagt sie nur „ja, Hans“, haben wir aber schönes Wetter zu erwarten, grüßt sie mit einem herzlichen „Hallo Schätzelchen“. Bei Schmuddelwetter rät sie: „Machen Sie sich warme Gedanken!“
Wenn Anne Keller von „Schmuddelwetter“ spricht, dann handelt es sich dabei nicht direkt um einen wissenschaftlichen Begriff. Wissenschaftlichkeit bieten andere Wetterberichte, die in der Wahl der Worte den Ernst der Lage deutlich machen möchten: Von Bewölkungsfeldern ist dann die Rede und Wolkenflecken, von wolkenarmen Bereichen und dem Durchzug eines schmalen Wolkenbandes. Auch auf den Keil eines Tiefs wird hingewiesen, auf anderen Kanälen schon mal als Tiefausläufer bezeichnet. ZDF-Dipl.-Meteorologe Dieter Walch greift gelegentlich gar auf den medizinischen Wortschatz zurück und berichtet von einem Wurmfortsatz. Auch im Wortschatz des Hochtiefdeutschen: „Nebelneigung“, „wetterwirksames Hoch“, „Niederschlagsechos auf dem Radarschirm“.
Der 3Sat-Bildschirmtext berichtet weitaus populärer: Hinter den aufgelisteten Städtenamen steht als Wetterangabe lediglich „bewölkt“, „stark bewölkt“ oder ganz einfach „schön“. Wenn der Text bei München, Frankfurt am Main und Berlin „keine Meldung“ ausweist, dann findet dort zur Sendezeit offenbar kein Wetter statt.
Wetter im deutschen Fernsehen ist und bleibt also ZuschauerInnen- Liebling zwischen Plauderei und Wissenschaft, Tradition und Erneuerung. Die Frage, ob die Prognosen zutreffend sind, ist damit nicht geklärt. Denn beim Wetter geht es eigentlich nur um elementares Gefühl angesichts der Elemente. Hauptsache: Ärger oder Erleichterung.Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen