: Das Warten auf bessere Zeiten
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sind schwieriger geworden / BRD-Unternehmer wollen indes von Boykott nichts wissen ■ Von Georg Wadehn
„Üble Geschäftemacherei“ nennt der frühere Berliner Wirtschaftssenator Dr. Pieroth, heute Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, jetzt die deutsch -chinesischen Wirtschaftsbeziehungen. Doch die deutsche Wirtschaft denkt nicht an einen entsprechenden Boykott Chinas. Bundesdeutsche Banken „schnüren neue Kreditpakete“ für die Volksrepublik oder zumindest für das Geschäft mit ihr. Die BRD erweist sich damit als „Freund“, von dem China eine wertfreie Außenpolitik verlangt, „die sich lediglich an wirtschaftlichen und strategischen Überlegungen orientieren“ soll (so die 'Pekinger Volkszeitung‘ vom 16. Juli 1989). Immerhin: China-Geschäft in Deutschland ist schwieriger geworden seit der Mordnacht des „Pekinger Frühlings“ vom 3. auf den 4. Juni dieses Jahres.
„Inwieweit die in den letzten Monaten aufgetretenen Unruhen zukünftig die geschäftlichen Beziehungen zur Volksrepublik China beeinflussen werden, wird sich sicher konkret erst noch herausstellen müssen“, meint der westfälische Mittelständler Norbert Bläser, Inhaber und Gesellschafter eines Kamener 100-Mann-Betriebes zur Herstellung von speziellen Schiffsverladesystemen und Bergbauverzugsmatten auf Anfrage dieser Zeitung. Der Unternehmer hat Kooperationsverträge mit China laufen und plant zur Zeit auch ein Joint-venture. Für Bläser gibt es nach dem Massaker sogar noch ein Motiv mehr für eine China-Reise: „Wir selbst haben im Oktober eine Messe in Peking und planen, während unseres Aufenthaltes Vertragsabschlüsse durchzuführen. Sicher können wir nach diesem Aufenthalt die zukünftigen weiteren gemeinsamen Schritte besser beurteilen, als dieses ausschließlich durch Pressenachrichten der Fall ist.“
Es gibt freilich inzwischen Anzeichen, daß die Kontakte schwieriger werden. Das Bergkamener Zweigwerk der Schering AG bekam das zu spüren. Wegen der unruhigen Lage in ihrer Heimat hat kürzlich eine für das Unternehmen wichtige chinesische Wirtschaftsdelegation ihre Reise in die Bundesrepublik und nach Bergkamen abgesagt.
Für den journalistischen Altmeister Johannes Groß (Herausgeber von 'Capital‘ und 'Impulse‘) ist die Lektion eindeutig: „Man kann nicht wirtschaftliche Freiheit gewähren und alle anderen verweigern...“
Da ist der China-Kenner und Vorstandsvorsitzende der im Stahlkombinat Baoshan bei Schanghai mit drei Milliarden Mark engagierten Schloemann-Siemag AG, Düsseldorf, Heinrich Weiss, ganz anderer Meinung. Der designierte BDI-Präsident ist für „abwarten und präsent bleiben“. Er rät vor allem mittelständischen Firmen: keine Boykotte, keine Überreaktionen, Verträge einhalten, auf die Erfüllung von Kontrakten drängen, Kontakte weiter pflegen und auf die chinesischen Behörden vertrauen. Schließlich haben die ja den „großen Markt China“ ('Volkszeitung‘) mit zu verteidigen und zu verantworten. Weiss in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift 'Capital‘: „Die können uns doch nicht zehn Jahre lang etwas Falsches erzählt haben.“ Er ist der Ansicht, daß das Land wieder zur politischen Normalität und zur begonnenen wirtschaftsbedingten Öffnungspolitik voll zurückkehren wird. Die Devise für die jetzigen Zeiten ist offenbar: Aussitzen!
Das tun Riesen-Unternehmen und -Banken: Die Siemens AG ist mit ihrem Vorstandschef Dr. Karlheinz Kaske der Meinung, daß „die jüngsten Unruhen bestätigen, daß die Zusammenarbeit gerade mit so schwierigen Märkten einer langen Reifezeit bedarf“ (so Kaske in einem Zeitungsinterview). Und Volkswagen-Pressemann Witzel sagte der taz am Telefon: „VW ist an seine Verträge gebunden und wird sie erfüllen.“ Der Montagebeginn des Audi 100 in Changcun, ursprünglich für den 1. Oktober geplant (zum 40. Jahrestag der Volksrepublik China), ist lediglich um 14 Tage verschoben worden.
Derweil wollen die bundesdeutschen Banken „China nicht in die Isolation treiben“ und die deutschen Unternehmer eher dazu ermuntern, weiter vor Ort zu investieren und Gewinne zu erzielen. Sie handeln also nach dem Motto, nach dem man eine Demokratiebewegung nicht stärken kann, indem man das fragliche Land wirtschaftlich schwächt. Und die bundesrepublikanischen Banker wissen auch, daß stornierte Geschäfte dann die anderen machen (in diesem Falle Japan und die USA).
In diesem argumentativen Hin und Her hat es die bundesdeutsche mittelständische Industrie mit ihrem China -Handel natürlich wieder einmal sehr viel schwerer.
Die Hamburger Mittelstandsvereinigung wird noch in diesem Jahr wieder nach China reisen. Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium immerhin ist sich nicht sicher, ob es auch in diesem Jahr zum vierten Male sein Nankinger Mittelstandssymposium Wirtschaft und Technik Anfang November wieder abhalten wird. Der persönliche Referent von Ressortminister Jochimsen, G. Placzek: „Fragen sie uns mal im September wieder!“ Bundeswirtschaftsminister Haussmann und Baden-Württembergs Landeschef Lothar Späth jedenfalls haben ihre Wirtschaftsreisen nach China für dieses Jahr abgeblasen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen