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Das Wahrheitsspiel

■ Jay McInerneys neuer Roman »Ich nun wieder« über das ausschweifende Leben der Jugendlichen in den achtziger Jahren in New York

New York in den Achtzigern. Jung und schön, eitel und vergnügungssüchtig, geistreich und rasant wirbeln Alison Poole und ihre Freundinnen durch Manhattan. Jeden Tag aufs neue verabreden sie sich umständlich, stylen sich aufwendig mit reihum getauschten Klamotten, fahren im Taxi von einer Cocktailbar zur nächsten und ziehen linienweise Kokain, lassen sich schließlich von irgendwelchen Typen aufreißen und vergleichen am nächsten Morgen Maße und Stellungsprogramm der nächtlichen »Herzschrittmacher«. Rundum hinterlassen sie aufgedrehte Katastrophenmeldungen auf ihren Antwortbeantwortern und fragen gegenseitig die Nachrichten bei den anderen per Fernanwahl ab, um auch ja über jedes private Detail der anderen informiert zu sein, und beim nächsten Kreuzverhör eine gut gezielte Frage abschießen zu können. Nichtöffentliches Persönliches wird nicht geduldet. Nichts ernst zu nehmen ist Pflicht. Ein Ausstieg ins Private würde den Gruppenrausch stören.

Alison Poole hat da keine Illusionen. Witzig und gewandt schlägt sie jedem seine Selbstlüge aus der Hand. Sich selbst nimmt sie dabei nicht aus. Gehässig und selbstironisch notiert sie ihre wie der anderen Bedarf an Bestätigungen und Produktion an Gemeinheiten — »denn darum geht's doch nur im Endeffekt, wenn ihr mich fragt — wir hocken hier alle auf der Welt herum, kassieren unsere Verletzungen, versuchen, sie an andere weiterzugeben und sorgen so für ausgleichende Gerechtigkeit. Herz und Schmerz.« Jedes Bemühen um »soziales Gewebe«, um irgendeine Form einfühlsamen und gedankenvollen Umgangs mit anderen, wird als Rückstand »antiker Mythen« entlarvt und erhält ungefähr den Rang der Erkennungsmelodie des Sandmännchens angewiesen. Hinter der Fassade völliger Desillusionierung wuchern Enttäuschung und Aggression erst recht hemmungslos.

Dabei liegen die Sehnsüchte hinter dem zynischen Lärm offen und sprechen eine erstaunlich konventionelle Sprache. Von Treue und Liebe ist da die Rede, von einem Zuhause, das man nach endloser Wanderung müde und erschöpft erreichen und auf Anhieb erkennen würde — wenn solche Äußerungen auch nur im Konjunktiv der Irrealität möglich sind: »Hab ich von Liebe geredet? Mir gehört doch die Zunge abgeschnitten.« Selbst im eigenen Gefühlshaushalt ist die große Verwirrung ausgebrochen. Wer mag in den Achtzigern noch von Liebe und Menschenwärme faseln?

Alison Pooles charmante Polemiken sind ein hinreißender, wenn auch ohnmächtiger Protest ungehörter Enttäuschung und fehlender Orientierung. Dabei gehört es zum Bewußtseinsstand des postmodernen Girl, daß ihrem Schicksal natürlich nichts Außergewöhnliches anhaftet, ihre Eltern zwar Prototypen desinteressierter Eitelkeit abgeben, aber für die Kulisse eines Melodramas nach Aschenputtel-Zuschnitt doch nicht taugen. Doch gerade weil sie ihre Enttäuschung nicht wehleidig vorträgt, wie noch der Held in Jay McInerneys Ein starker Abgang (Bright Lights, Big City), sondern mit Selbstironie ihren ohnmächtigen Zorn zu überwinden versucht, wird Alison Poole liebenswert und ihr Plädoyer eindringlich.

Ihren Höhepunkt findet ihre verzweifelt-witzige Suche in dem »Wahrheitsspiel«, bei dem man sich im Schneeballprinzip Fragen oder Handlungen vorlegt, die der andere unbedingt aufrichtig beantworten oder erfüllen muß. »Willst du mit Rebecca schlafen (die du gerade so lüstern anstarrst?)« oder »Zieh' dich aus!« lauten vorzugsweise die Fragen und Aufforderungen bei dieser exzentrischen Abendunterhaltung. Nun folgte Alison Poole ja schon erfolgreich und pointenträchtig der Maxime, der Wahrheit ungeschminkt ins Auge sehen zu wollen; aber so richtig im klaren darüber, was sie damit heraufbeschwören würde, war sie sich wohl nicht.

Was dabei herauskommt, wenn man sich vorbehaltlos auf die Wahrheit einläßt, und wie sich ein solches Unternehmen mit den Regeln der sozialen Konvention verträgt, schien auch der Autor nicht recht zu wissen. In seinem Roman Ich nun wieder zumindest schlagen gekonnte Persiflage auf Filmmythen und -träume selbst in ein Klischee um: Nach nervösem Höhenflug und exzessivem Drogenkonsum landet Alison Poole mit unerbittlicher Logik in einer Entziehungsanstalt. Die konsequent entlarvte Moral behält doch recht — Arbeit am Mythos auf amerikanisch. Hans Dieter Heimendahl

Jay McInerney: Ich nun wieder , (großartig) übersetzt von Nikolaus Hansen, Rowohlt-Verlag 1991, gebunden, 29 DM

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