Das Vaterland am Kraterrand

■ HBV und DAG feierten 42. Jahrestag des Untergangs der deutschen Banken

„Verehrte Leidensgemeinschaft! Entgegen ihrem seit 41 Jahren gehegten Brauch sind die Banken in diesem Jahr nicht erst nach Abschluß der Tarifrunde in Folge der nicht mehr zu verkraftenden Ergebnisse untergegangen: Die reine Furcht vor unseren Forderungen hat bereits jetzt zu akutem Herz- und Kreislaufversagen geführt. Wir, die Gewerkschaften HBV und DAG, bekennen uns schuldig.“

Ganz und gar nicht schuldbewußt sieht Klaus Busch von der Bremer Gewerkschaft Handel- Banken-Versicherungen bei diesen Worten aus. Die zahlreich erschienene Trauergemeinde, etwa 200 Bremer Bankangestellte, nahm in ihrer verlängerten Mittagspause den gestrigen Festakt im Kultursaal der Angestelltenkammer denn auch eher stillvergnügt zur Kenntnis.

„Ich habe heute extra Schwarz angezogen!“ meint eine Bankerin. Da ist sie zwar in der Minderheit, aber sonst fehlt es an nichts: „Beerdigungskuchen — ich werd' wahnsinnig...“ Kerzenständer und Lorbeerbäume umrahmen das Rednerpult, das Norddeutsche Salonorchester gibt live den Trauerton an — und Särge sind an sich jährenden Todestagen meist eh' nicht zugegen.

Tot ist es also schon, das deutsche Bankgewerbe, um das die Hinterbliebenen trauern. Vor der am Montag anstehenden Entscheidung, ob es eine Urabstimmung über Streik geben wird, ließen sich DAG und HBV gemeinsam einen letzten witzigen Warnschuß einfallen. „Heute nehmen wir es nochmal mit Sarkasmus“, sagt Hartmut Frenzel von der DAG, extra in schwarzen Frack und Zylinder geworfen.

Anlaß für Trauerreden bei Butterkuchen und Kaffee biete die Haltung der Bank-Arbeitgeber in der Tarifrunde 91/92 genug: „Seit den 50er Jahren beschwören die Arbeitgeber regelmäßig, daß im Ergebnis der gewerkschaftlichen Forderungen (die liegt zur Zeit bei 10,5 Prozent mehr Lohn) mindestens der Untergang ihrer Branche, wenn nicht der Kollaps der Wirtschaft in der BRD stünde.“

„Im Grunde ist das Ganze ein Trauerspiel“, findet eine Bankangestellte, „die Banken machen die meisten Gewinne, haben aber die wenigsten Tariferhöhungen!“ Für die Gewerkschaften ist klar: „Die neueste Erkenntnis von Sachverständigenrat, Arbeitgebern und Bundesregierung: Die Erde ist eine Scheibe.“

Die Bundesregierung in Form unseres Kandisbrunzlers Dr. Helmut Kohl, (Ghostwriter diesmal der Bremer Kabarettist Pago Balke), ergreift nun auch das Wort: „Isch bin zerschüttert. Ein ganzer Gewerbszweig, und er war uns der liebste, ist von uns gegangen. Ohne ihn steht das Vaterland am Kraterrand. Wer hat die Katastrophe auf dem Gewissen? Die Gezwerkschaften, und da nehme isch kein Blatt vor den Mund. Ihre sinnlosen Forderungen nach Kargheitszeitverwürzungen und und Buhmannisierung der Arbeitshetze und nach höheren Stöhnen sind absurd und haben aus unserer schönen Bundesrampublik ein Sodom und Gomera gemacht.“ Derweil geht der schwarze Zylinder um, damit der „Solidaritätspfennig“ für die notleidenden Banken dem Arbeitgeberangebot von knapp fünf Prozent auf die Sprünge helfe.

Diesmal eilten die 200 BankerInnen nach der „Trauerfeier“ noch zu ihren Arbeitsplätzen zurück — das kann demnächst ganz anders aussehen. skai