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Das Unmögliche wagen

In Stuttgart beginnt der Prozeß gegen den Tübinger Wirtschaftsprofessor, Großliquidator und Pleitegeier Eckhard Wandel  ■ Aus Stuttgart Matthias Stelzer

Stuttgart (taz) – Professor Eckhard Wandel ist ein angesehener Wissenschaftler der Tübinger Eberhard-Karls-Universität. Seit 1981 lehrt er in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und prüft die Volkswirtschaftsstudenten mit Schwerpunkt Regionalstudien bei ihrem Diplomabschluß. Geprüft wird seit 1986 aber auch von anderen. Die Staatsanwaltschaften quer durch die Republik sind seither wegen mehrerer verdächtiger Geschäfte hinter dem freien Unternehmer und Großliquidator der Treuhand her. Gestern begann gegen den außerplanmäßigen Professor, der inzwischen im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg bei Ludwigsburg in U-Haft sitzt, in Stuttgart der Prozeß. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen gibt damit den ersten Teil eines ihrer größten Ermittlungsverfahren der vergangenen Jahre ans Stuttgarter Landgericht.

Wegen des dringenden Verdachts der Konkursverschleppung in zwei Fällen, des Kreditbetrugs in fünf Fällen, des Bankrotts in zwei Fällen, der Untreue in acht Fällen und des 14fachen Betrugs beim Niedergang des väterlichen Textilbetriebs in Kirchentellinsfurt bei Tübingen wurde Wandel bereits 1993 angeklagt. Seither versuchte die Staatsanwaltschaft mehrfach, die Hauptverhandlung zu eröffnen – bis gestern ohne Erfolg.

Unzählige Gutachten, vom Tübinger Professor selbst in Auftrag gegeben, haben dies vereitelt. Mal schwer magenkrank, mal herzschwach und zuletzt manisch-depressiv – „verhandlungsunfähig“ lautete immer wieder die Diagnose verschiedener angesehener Mediziner, gegen die nun wegen „Falschbeurkundung von Krankheit“ ermittelt wird. Losgetreten wurde die Untersuchung gegen die Wandel-Gutachter von einem Reutlinger Labormediziner, der den Großliquidator im August 1994 (noch im März platzte eine Verhandlung wegen Krankheit) in einem Nobelhotel in Singapur getroffen hatte.

Vier Aktenordner füllen die Untersuchungsberichte der umstrittenen Gutachten, die dem Dauerkranken seither entsprechende Geschäftsreisen ermöglicht haben, nach Angaben des Stuttgarter Oberstaatsanwalts, Hans Richter. Doch das ist nun vorbei: Ein amtsärztliches Gutachten, das auf dem Hohenasperg erstellt wurde, kommt zum Ergebnis, daß gegen Eckhard Wandel vorläufig drei Stunden pro Tag verhandelt werden kann.

Wandel, dem der Konkursverwalter schon 1986 beim Niedergang des väterlichen Betriebs „eine völig unzureichende Betriebsorganisation“ bescheinigte, muß sich in Stuttgart nun voraussichtlich an elf Verhandlungstagen für den betriebswirtschaftlichen Schaden von 80 Millionen Mark verantworten. Eine Summe, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht nur auf mangelnde Organisation zurückzuführen ist. Eckhard Wandel ist in der Welt der Manager und Wirtschaftsbosse kein Unbekannter. Der Unternehmer, dem sein ehemaliger Prokurist nachsagt, er habe in Tübingen „am Schluß alles selbst abgewickelt“, mauserte sich nach den heimischen Pleiten unter den Fittichen des umstrittenen Treuhand- Abwicklungschefs Ludwig Tränkner zum Sanierer im öffentlichen Auftrag. Drei weitere Ermittlungsverfahren wegen Unregelmäßigkeiten beim Aufbau Ost hat ihm dieser Job eingebracht.

Gut 20 Unternehmen hat Wandel von 1991 bis 1994 für die Treuhandanstalt liquidiert und sich auch darüber hinaus für die Abwicklungsbehörde engagiert. Neben dem Sachverständigenratsvorsitzenden der Anstalt, Herbert Hax, und dessen Vorgänger, Hans- Karl Schneider, war der heute 52jährige auch an der ersten wissenschaftlichen Studie über die Treuhand-Arbeit beteiligt. Voll des Lobes analysierte er das Direktorat Abwicklung, die Abteilung, bei der er für seine Liquidationen das Honorar von etwa 20 Millionen Mark abrechnete. Titel der von der Anstalt unterstützten Publikation: „Das Unmögliche wagen“.

Wandel selbst hat gewagt, aber noch nicht gewonnen. Quer durch die Republik beschäftigt der Dr. rer. pol. habil., Venia legendi für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die Staatsanwaltschaften. Weil er die sogenannte Deckelung mißachtet und überhöhte Honorare abgerechnet haben soll, wird in Stuttgart wegen des Verdachts der „Untreue in 232 Einzelfällen zum Nachteil der Treuhand“ ermittelt. In Berlin arbeiten die Juristen an einem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Untreuedelikten, und in Halle droht ihm ein Prozeß wegen des Verdachts auf unerlaubte Insidergeschäfte als Treuhandberater eines Baumaschinenherstellers.

Der Fall Wandel ist nur eine von vielen Affären um das Direktorat Abwicklung der Treuhandanstalt. Nach dem spektakulären Abgang Ludwig Tränkners, ehemals Chef der Liquidatoren, beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft noch mit Wandels Ex-Kollegen Thomas Graefe, Karl Tynck, Rüdiger Mocker, Hans-Peter Rechel, Georg Zinsmeister und anderen.

Im aktuellen Vorlesungsverzeichnis der Tübinger Universität wird Wandel zwar noch als außerplanmäßiger Professor der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät geführt. Veranstaltungen bietet er aber nicht mehr an. Sein Titel ist ihm vorläufig noch sicher, denn die Universität kann ihm die Lehrbefugnis erst nach der rechtskräftigen Verurteilung entziehen. Jens Apitz, stellvertretender Pressesprecher der Universität: „Solange Herr Wandel nicht vor Gericht war, darf er bei uns offiziell nicht als Übeltäter gelten.“

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