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Das Theater ist ein Liebesakt

■ Ein Gespräch mit George Tabori, im Akademietheater in Wien

Tabori (75) saß im Schaukelstuhl und sprach leise über den Tod, die Liebe und Othello. Manche seiner Sätze ließ er unfertig ausklingen, ich habe diese durch ... gekennzeichnet, genauso wie manches Zögern beim Sprechen.

Im Oktober dieses Jahres wird er „Frauen - Krieg Lustspiel“ von Thomas Brasch am Schillertheater in Berlin inszenieren.

Tanja Neumann: Heißt das, daß du von Wien weggehst?

George Tabori: Also erst mal, ich geh‘ nicht von Wien weg, ich geh‘ nach Berlin: das klingt immer so dramatisch, dieses Weggehn. Das deutschsprachige Theater ist dezentralisiert, und man reist meistens.

Wenn man wie du „im Tal der Jahre“ ist, wie es bei Othello heißt, und der Tod näher rückt: welche Bedeutung hat das für die Arbeit?

Wie du sagst, man nähert sich. Es gibt eine schöne Hymne: Näher zu dir, mein Gott... (er singt ein paar Takte)... Aber nicht zu nah. Ich beschäftige mich mit dem Tod wie alle, auch junge Leute. Damit habe ich mich auch vor 25 Jahren auseinandergesetzt und sogar „therapeutisch“ ein Stück darüber geschrieben. Die fünfundzwanzigste Stunde. Die Geschichte eines Mannes, der krank wird und stirbt. Wenn man älter wird, hat man ein anderes Zeitgefühl. Diese endlose Perspektive, die junge Leute haben, die sich also gar nicht vorstellen können, daß das irgendwann einmal aufhört: das wird ein bißchen anders. Die Sterblichkeit zu akzeptieren, zu verstehen, das geht kaum. Alt sein: das ist wohl ein Zustand, in dem man nicht mehr weitermachen will. Ich hab‘ ein paar Freunde (durch den Tod) verloren, und einer von ihnen hat gesagt: das Fest, die Party, ist vorbei, es ist Zeit, sich unauffällig zurückzuziehen. Aber sonst: Ich bin eigentlich kein morbider Mensch.

In Mein Kampf taucht eine „Frau Tod“ auf: die ist sehr schön. Ich dachte, man soll den Leuten auch kommunizieren, daß der Tod nicht unbedingt etwas Schlimmes ist. Das Sterben kann schwierig sein, aber der Tod... Vor ein paar Wochen gab es im 'Zeit'-Magazin Fotos von einem DDR-Fotografen von toten Menschen und Kindern, wunderschöne Bilder. Wenn man diese Gesichter anschaut, dann ist in allen so etwas wie Verklärung und Ruhe. Selbst bei Ceausescu - ein mieser alter Herr, nicht besonders sympathisch: auf dem letzten Bild von ihm, da ist eine Art von - ich würde sagen ... fast Seligkeit.

Was ist das Sterben für dich?

Ich habe eine eigene Philosophie über das Sterben, darüber hab‘ ich auch geschrieben. Da ist etwas Kreisförmiges: man kommt aus dem Nichts und geht in das Nichts hinein. Es ist eine Rückkehr, dorthin, woher man kam. Ich hab‘ irgendwann erfahren, daß ich eine leichte Geburt hatte, also meine Mutter, also wir hatten eine leichte Geburt. Anscheinend hat sie während der ganzen letzten Phase gelacht. Und ich hatte immer den Wunsch, so zu sterben, wie ich geboren bin: in den Armen einer Frau. Das ist natürlich kompliziert, denn es ist schwer, eine Frau zu finden, die bereit ist, eine Liebesnacht mit jemanden zu verbringen: und am Ende hat sie eine Leiche in den Armen. Aber als Gedanken finde ich das heiter.

Othello ist ein trauriger Mann. Er hat so etwas Melancholisches, man denkt immer an einen Bluessänger.

(etwas fragend, lächelnd) Ja...?

Hat das auch etwas mit deiner Lebenserfahrung zu tun?

Nee, nee, nee, wie der Gert Voss das spielt, das war ganz seine Sache. Ich weiß nicht, ob das Traurigkeit ist. Schau, ein Mensch ist nie nur eine Sache. Er hat am Anfang des Stückes große Glückserlebnisse. Ich seh's so: Die Liebe dieser Frau ist die Krönung seines Lebens. Als Schwarzer in einer weißen Gesellschaft hat er eigentlich viel erreicht: Er ist General, als Außenseiter ein bißchen akzeptiert. Der Rassismus ist natürlich im Stück impliziert, das ist ja das ungeheuer Moderne bei Shakespeare. Er war der erste, der einen schwarzen Mann und eine weiße Frau nicht nur als Liebespaar präsentiert hat, sondern sogar ins Bett steckte.

Na ja, mit der Traurigkeit ... ich meine, er kommt rein mit einem Problem. Seine Hochzeitsnacht wurde unterbrochen, und natürlich, seine Funktion als General ist auch nicht ohne. Er weiß, er lebt in einer grundsätzlich unfreundlichen Umwelt, in der er sich immerzu beweisen muß. Das ist sein Problem als Außenseiter - ähnlich wie bei Shylock. Er muß besser sein, auf dem Schlachtfeld wie auch im Bett; das ist sozusagen sein unbewußter Leistungsdruck. Und natürlich, tja, er ist ja älter als die Desdemona, nicht, und da der Gert Voss so 48 ist, haben wir die Desdemona jünger gemacht. Und die Beziehung zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau - das ist auch etwas Konkretes und Besonderes.

Beckett, den du ja gekannt hast, hat mal im Zusammenhang mit Proust geschrieben, daß Liebe immer auch eine Funktion des Trauerns sei.

Ja, nun ja, bei Beckett ist es so; für Beckett ist das Scheitern zentrales Bewußtsein: daß man immer scheitert. Er hat das in seiner letzten Geschichte so schön formuliert: immer versuchen, immer scheitern, einerlei. Wieder versuchen, wieder scheitern: besser scheitern. Und das ist nicht nur ein Wissen, das ist eigentlich ein gutes Menetekel, oder Mahnung, für Politiker, wie auch Liebende oder auch Künstler. Wir sind nicht Götter, und jede Anmaßung an Vollendung ist eigentlich Blasphemie, nicht wahr, weil: nur Gott ist perfekt. Und auch er hat sehr viele Pannen gemacht, wenn man das erste Kapitel in der Bibel liest: was da alles schiefgeht!

Was heißt das, daß Liebe auch eine Form des Trauerns ist?

Na ja, bei Proust wie auch bei Beckett ist ja das Scheitern der Liebe zentral, ist der Schatten zwischen der Sehnsucht und der Verwirklichung sehr groß. Jede Liebesgeschichte, jede Liebesaffäre geht irgendwann kaputt, auch bei Shakespeare ... bei Shakespeare gibt's kein Happy-End. Nichts dauert, die Jugend ist vorbei, die Rose verwelkt, die große Liebe geht kaputt. Weil sie die Umwelt nicht toleriert, wie bei Romeo und Julia, oder weil die Liebenden selber sie zerstören.

Hat vielleicht Othellos so sehr große Liebe zwangsläufig dazu führen müssen, daß er die Geliebte tötet, als eine letzte Form der Vereinnahmung?

Ich glaub‘, Heine sagt, der eine liebt, der andre wird geliebt. Es ist fast immer so, daß der eine - weil die Sehnsucht so groß ist, oder was auch immer - mehr liebt als der oder die andere ... es ist sehr selten, daß es bei beiden dasselbe ist. Und wenn man spürt, daß der andere ... also wenn ich denke, meine Temperatur ist hundertzehn, und die andere ist achtundachtzig, dann sagt man sich, Moment, was ist los, sie liebt mich nicht mehr. Und all das ist im Scheitern impliziert.

Du hast einmal gesagt, daß bei den Schauspielern jeder das einzige Kind sein will. Der gleiche Anspruch wie bei den Vätern?

Na ja, Schauspieler sind narzißtisch, Künstler. Schauspieler müssen narzißtisch sein, um zu funktionieren. Die wollen alle das einzige Kind sein, alle sind da so ungeheuer verletzbar. Tja, der heroischste Beruf ist es, Schauspieler zu sein. Er gibt, gibt, gibt, und er gibt sich selber. Er ist ja nicht nur der Produzent, der Künstler, sondern auch das Produkt, das Kunstwerk... Wenn ich ein Buch schreibe, ist es mein Baby, aber es ist nicht ich. Der Schauspieler aber ist mit sich immer identisch, er kann sich nicht von sich trennen. Dadurch kriegt er nie genug zurück, nie genügt das Feedback, so viel gibt er von sich selber. Gestern gab es auch ziemlich viel Jubel, und das brauchen die, das ist auch richtig, ein Ausdruck der Erkennung.

Viele Schauspieler, die mit dir gearbeitet haben, haben gesagt, daß du dabei sehr viel Gelassenheit hast.

Die Arbeit selber ist vitalisierend. Man kommt auf die Probe, immer ängstlich, verspannt, krank sogar, und dann, wenn's anfängt zu laufen: dann geht das alles. Theater ist sehr therapeutisch. Viele Regisseure machen das so, daß die Schauspieler ihre privaten Probleme zu Haus lassen - das geht so nicht. Daraus entsteht ein riesiges Loch zwischen dem Menschen und der Rolle, das kann sehr pathologisierend wirken. Darum werden Schauspieler ja auch so oft krank. Und dieses Loch ist nur Angst, denn: da bin ich weder ich, der Schauspieler Schmidt, noch der Othello, sondern ich bin dann nirgends. Und das kann man verhindern.

Kann man das lernen durch sehr viel Aufmerksamkeit?

Ja. Ich glaube schon. Ich hab‘ ein paar Regeln: das einzige, was man im Theater nicht vergessen darf, ist, daß der Schauspieler - also der Hauptträger der Sache - ein Mensch ist. Ich meine das nicht sentimental, sondern: man soll ihn respektieren als Menschen, und nicht als eine Maschine, die produziert. Lawrence Olivier sagte mal: das Theater ist wie ein Liebesakt.

Gert Voss spielt den Othello in dem Moment, in dem die Angst vor dem Verlassenwerden für ihn riesengroß wird, wie ein kleines Kind, das sich von aller Welt verlassen fühlt.

Ja, ja, das ist so. Natürlich, Liebe ist regressiv. Wenn man nicht die Fähigkeit hat, regressiv zu sein, dann geht es nicht. Die Liebe ist kindisch und kindlich, sie ist auch subversiv, ist politisch, ja: subversiv ist die Liebe. Die Welt will das nicht, sie zelebriert das zwar, sie guckt sich das an: aber Liebespaare sind ja nicht produktiv ... sie lieben sich, das ist alles, was sie tun. Sie gehen nicht ins Büro oder in die Fabrik, sie produzieren keine Werte oder Objeke. Alles, was sie tun, ist schmusen. Das geht ja nicht in dieser Kultur. Das ist gefährlich für sie. Und es ist auch harte Arbeit: it's a full time job - und wer kann sich das leisten?

„Lears Schatten“ wird Ende April/Anfang Mai in Halle und Weimar zu sehen sein, „Verliebte - Verrückte“ (Liebesszenen aus verschiedenen Shakespeare-Stücken) am 4.Mai in Ost -Berlin.

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