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Christa Pfafferott Zwischen MenschenDas Sicherheitsseminar

Foto: privat

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Machtverhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Rennen im Regen. Um mich Donner und Blitze. Ich komme vom Joggen und rette mich in eine Tankstelle, stehe klitschnass im Neonlicht. Das Wasser läuft mir aus den Haaren. Hier drinnen ist es still. Vor mir steht nur ein Tankwart, der mich ausdruckslos ansieht. Ich spüre, wie er wartet, dass ich etwas kaufe, als wäre der Regen nicht Grund genug hier zu sein. Erleichtert spüre ich ein paar Münzen in meiner Sporthose, kaufe ein süßes Getränk und stürze es hinunter. Draußen laufen Bäche über die Straße. Ich komme hier nicht raus. Noch nicht einmal Musik läuft. Da sind nur der Tankwart und ich: Sein graues, unbewegliches Gesicht vor der Zigarettenwand. Ich spüre die nasse Kleidung an meinem Körper. Mir ist kalt. Dann fällt mir dieser Witz ein: „Geht ein Dalmatiner zur Tanke. Was fragt ihn der Tankwart?“ Nein, diesem Mann sollte ich keine Witze erzählen. Aber sein Schweigen halte ich irgendwann nicht mehr aus.

„Sind Sie schon mal überfallen worden?“ Er nickt, als stünde die Tür zu seiner Welt längst offen, man muss einfach nur die Klinke drücken. „Damit stand ich in der Zeitung“, sagt er stolz. Schnell redet er weiter: „Sie haben mich attackiert, obwohl ich mich direkt ergeben habe. Zweimal haben sie geschossen: Peng, peng“, ruft er laut. Ich schrecke zusammen, überrascht von den Schüssen und diesem Mann, der auf einmal ein ganz anderer zu sein scheint. „Es war Gas“, sagt er. „Aber die Pistole lag noch da, als sie mich fanden. Der dritte Schuss war scharf. Da wär ich weg gewesen.“

„Und sie konnten danach wieder arbeiten?“ „Ich hatte einen Schock, ja. Aber kein Trauma“, sagt er. „Ich hatte einen guten Chef. Zuerst hat er mich in die Tagschicht gelassen, dann in die Nachtschicht gemeinsam mit einem Kollegen. Und dann, nach einiger Zeit, war ich wieder allein.“ Er spricht nun, als ob er auf Fragen antworten würde, die er sich lang selbst gestellt hat: Wer bin ich seitdem? Wie war das für mich? Wie mache ich weiter? „Die ersten Nachtschichten waren schlimm“, sagt er. „Aber dann gewöhnt man sich dran und geht da ganz langsam rein, bis es normal wird.“

Draußen regnet es weiter, niemand kommt herein. Seine Geschichte, die Leerstelle, die ich um die vermeintlich verarbeitete Angst spüre, erschöpft mich auf einmal. „Es gibt auch ein Sicherheitsseminar“, sagt er dann. „Da lernt man, wie man sich in solchen Situationen verhält.“ „Und“, frage ich, „was müssten wir jetzt tun, wenn jemand die Tanke überfällt?“ „Du musst alles geben und nie sagen, dass du nichts mehr hast“, sagt er. „Wenn du die Kasse hergegeben hast, dann wollen sie meistens noch was: Sie sagen wieder 'Geld her’. Du hast aber nichts mehr. Wenn du das jetzt sagst, werden sie aggressiv. Also, gib alles raus. Egal was. Geld, Zigaretten, alles rein in den Sack.“

Er macht eine Pause. „Das lernt man alles im Sicherheitsseminar“, sagt er und lächelt: „Wer, denkst du, ist gefährlicher, Frauen oder Männer?“ „Frauen?“, tippe ich. Er nickt: „Wenn Frauen zuschlagen, dann flippen sie völlig aus. Das wissen die Polizisten. Sie kommen dann mit fünf Mann“, sagt er. „Ihr Frauen, wenn ihr einmal rot seht, ihr kratzt und beißt.“ Unmerklich ist er dazu übergegangen, mich direkt einzubeziehen. „Wenn ihr angreift, dann dreht ihr völlig durch. Also, ich meine jetzt nicht du, aber insgesamt.“ Er lacht: „Das lernt man alles im Sicherheitsseminar“.

Plötzlich wirkt er so, als würde er begreifen, dass er größer ist als sein Job

Ich überlege, ihm etwas entgegenzusetzen und entschließe mich dann, seiner Welt weiter zuzuhören. „Das wichtigste ist. Nicht wehren“, sagt er. „Ich geb mich nicht für so ein bisschen materielles Zeug her. Es gehört mir ja noch nicht mal.“ Plötzlich wirkt er so, als würde er begreifen, dass er größer ist als sein Job, dass die Sicherheitsseminare nicht helfen, dass er letztlich allein ist in der Nacht. Auf einmal ist da ganz viel Mensch. Kein grauer Tankwart, kein Funktionsträger. Ein Universum leuchtet, wie es in jedem einzelnen Menschen liegt.

Da fährt ein schwarzes Auto mit dunklen Scheiben vor. Eine Frau steigt aus. Sie holt zwei Sektflaschen aus dem Eisschrank. Der Tankwart und ich schauen uns an. Wir müssen lächeln. Als sie bezahlt, löst sich unser Gespräch auf. Der Regen hat fast aufgehört. „Pass gut auf“, sagt er, als ich rausgehe. Er meint die nassen Straßen, vielleicht aber auch das Leben selbst.

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