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Das Seziermesser

Nach einem quälenden Auswahlverfahren soll heute Dieter Glietsch (SPD) zum neuen Polizeipräsidenten gewählt werden. Von der Opposition wird er keine Stimmen bekommen

von PLUTONIA PLARRE

Über keine Personalie hat sich die Berliner Presse in den vergangenenen Monaten zu so viel Spekulationen hinreißen lassen wie diese: Wer wird neuer Polizeipräsident von Berlin? Wer folgt auf Hagen Saberschinsky, der im Herbst vergangenen Jahres in den Ruhestand ging?

Anfangs waren sich die Medien einig, dass der von der Polizeibehörde und Gewerkschaften favorisierte Vizepräsident Gerd Neubeck, parteilos, aber konservativ, alle Chancen hätte. Mitte März aber war plötzlich der Bonner Ex-Polizeipräsident Michael Kniesel (SPD) der Favorit. Anfang April tauchte dann überraschend der Inspekteur der Polizei in Nordrhein-Westfalen, Dieter Glietsch (SPD), auf.

Der 55-Jährige hat das Rennen gemacht. Aus NRW, wo Glietsch 42.000 Polizisten unter sich hatte, eilt ihm der Ruf voraus, ein Polizeiführer zu sein, der auf Dialog und Deeskalation setzt, aber auf Nummer Sicher geht. Gelobt wird auch sein analytischer Sachverstand, er sei „scharf wie ein Seziermesser“. Glietsch wird heute vom Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der SPD-PDS-Regierungskoalition in geheimer Wahl zum Präsidenten der Hauptstadtpolizei gekürt.

Das Votum der Opposition wird Glietsch allerdings nicht bekommen. Grüne, FDP und CDU sind in seltener Einmütigkeit der Auffassung, das Auswahlverfahren sei manipuliert worden und Glietsch habe nur wegen seines SPD-Parteibuchs den Zuschlag bekommen. Auch die Vorstellungsrunde, die Glietsch am Dienstag bei den Oppositionsfraktionen absolvierte, hat an der Haltung nichts geändert.

Nahrung hatte der Parteibuch-Vorwurf bekommen, weil Innensenator Ehrhart Körting (SPD) noch am 18. März von einer hervorragenden Bewerberlage gesprochen hatte. Die Opposition interpretiert, Körting hätte sich da bereits auf Neubeck festgelegt, sei aber wenig später von SPD-Parteichef Peter Strieder und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zurückgepfiffen worden. Zum Verhängnis wurde dem ehemaligen Oberstaatsanwalt aus Nürnberg, dass er als Günstling des früheren CDU-Innensenators Eckart Werthebach gilt. Werthebach hatte Neubeck im Jahr 2000 als Vizepräsident an die Spree geholt. Hier hatte er sich wegen seiner umgänglichen Art und als guter Verwaltungsreformer einen Namen gemacht.

Nach dem Veto der Parteispitze rollte Körting das Bewerberverfahren wieder auf. Nunmehr wurden im Bundesgebiet „gezielt“ Personen angesprochen. Dieter Glietsch reichte daraufhin eine offizielle Bewerbung ein, wurde am 11. April zu einem Vorstellungsgespräch nach Berlin geladen und bekam den Job. Er sei angesprochen, aber „nicht bearbeitet“ worden, sagte Glietsch dazu am Dienstag vor der Grünen-Fraktion.

Körting beteutert, dass er sich für Glietsch auch ohne dessen SPD-Parteibuch entschieden hätte, weil der „noch einen Tick besser“ sei als Neubeck. Entscheidend sei nicht das persönliche Bewerbungsgespräch gewesen, bei dem Neubeck von allen Kandidaten mit Bestnote abschnitt, sondern die Dienstzeugnisse.

Auch die PDS hält Glietsch für „den geeignetsten Kandidaten“. Durch die Blume deutet der Innenpolitiker Udo Wolf aber an, dass er die Kritik an dem Auswahlverfahren teilt: „Das Ganze ist suboptimal gelaufen.“

Die FDP-Fraktion hat Glietsch am Dienstag allerdings nicht von sich überzeugen können. „Er ist bestimmt ein guter Polizist, aber kein Macher und Reformer“, begründet der innenpolitische Sprecher Alexander Ritzmann, warum sich die Liberalen der Stimme enthalten werden. Was „die Strukturen, Fallstricke und Besitzstandswahrungen“ der Berliner Polizei angehe, wirke Glietsch außerdem „ein bisschen unbedarft“. Auch die CDU wird mit Nein stimmen. „Unser Kandidat heißt Gerd Neubeck“, begründet der innenpolitische Sprecher, Roland Gewalt.

Bei den Grünen wird sich ein Teil enthalten oder mit Nein votieren. Obwohl Glietsch bei dem Vorstellungsgespräch „niemanden vom Hocker gerissen“ habe, sei das nicht gegen ihn persönlich gerichtet, sagt Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland, sondern als Protest gegen „die degoutante Nachnominierung“ zu verstehen. So könne man nicht mit Menschen umgehen. „Erst wurde Neubeck aufgefordert sich zu bewerben, dann wurde er verheizt.“ Dass sich Körting für einen Polizeipräsidenten entschieden habe, der in der Behörde keinen Rückhalt habe, könne sich noch rächen, befürchtet Wieland.

Offiziell wird von der Polizei zwar versichert, dass man mit Glietsch gut zusammenarbeiten werde. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aber: „Wir sind befremdet, dass man unseren Interimschef hat auflaufen lassen. Das merken wir uns.“

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