Das Schwert der Gerechtigkeit

PROZESS Seit Langem kämpft Erich Neumann gegen die Berufsgenossenschaft um eine Unfallrente. Nach zahllosen Niederlagen erzielte er nun einen Erfolg. Auch ein Hausverbot gegen ihn wurde aufgehoben

Er wird weiterkämpfen, auch wenn sein Leben dabei „vor die Hunde geht“

Jetzt hat Herr Neumann doch noch Recht bekommen, ein Stück weit zumindest. Und das ist eine Nachricht, mit der nicht so ohne Weiteres zu rechnen war. Der 72-Jährige kämpft schon seit 13 Jahren für das, was er unter „Gerechtigkeit“ versteht. Bislang vergebens: Immer wieder wurden seine Klagen als „unbegründet“, „unzulässig“ oder „aussichtslos“ abgewiesen.

Neumanns Gegner ist die Berufsgenossenschaft (BG), in diesem Falle die für Handel und Warendistribution. Sie will ihm, so sieht er das, nicht die Unfallrente zahlen, die ihm zusteht. Aus böser Absicht. Und er glaubt, das auch beweisen zu können.

Nun hat das Bremer Sozialgericht ihm eine Verletztenrente zugesprochen, rückwirkend für zwölf Jahre. Das macht 100 Euro im Monat und eine Sonderzahlung von 12.000 Euro. Ein positives Urteil, sagt er, „endlich“.

Es geht dabei um einen Unfall, den der gelernte Tischler und spätere Fernsehtechniker 1968 hatte. Mit einem Transporter geriet er damals in einen schweren Crash, schuldlos. Sein Beifahrer stirbt, Neumann überlebt, mit vielen Verletzungen, von denen ihm einige eine Rente einbringen. 1975 lässt er sich die auszahlen, 62.000 Mark waren das damals. Trotzdem könnte er heute wieder eine Rente bekommen – wenn ihm eine höhere „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ anerkannt wird als die seinerzeit 25 Prozent. Nun sind es 30, entschied das Sozialgericht.

Immer wieder prägen Unfälle Neumanns Leben. 2001 trifft ihn, mittlerweile Medizintechniker im Außendienst, der Schlag – 220 Volt, mitten ins Herz. Seither hat er ein „chronisches Vorhofflimmern“, wie Mediziner sagen, also eine schwere Herzrhythmusstörung, bei der das Herz deutlich schneller schlägt und der Puls völlig unregelmäßig ist. Dass zwischen beiden Ereignissen ein kausaler Zusammenhang besteht, ist „sehr wahrscheinlich“, das sagen auch die Gutachter der BG. Trotzdem bekommt Herr Neumann keine Rente. Weil zwischen Unfall und Diagnose einige Monate vergangen sind, weil es auch „im alltäglichen Leben“ möglich wäre, Vorhofflimmern zu bekommen, wie die BG sagt.

Etwa zehn bis 15 Verfahren hat Herr Neumann deswegen noch laufen, so genau weiß er das selbst grad nicht, und einen Anwalt hat er auch nicht mehr. Die BG hatte ihn unterdessen in die Liste der „gefährlichen Personen“ aufgenommen und Hausverbot erteilt, vermutlich, weil er ihnen als Querulant gilt. Man könne nicht wissen, wie er reagiere, sagten sie, und dass er auf seiner umfänglichen Website http://unfallmann.jimdo.com/ ja immer wieder das Bild von Michael Kohlhaas benutzt. In der Novelle von Heinrich von Kleist greift ein Pferdehändler ob des Unrechts, das ihm angetan wurde, zur Selbstjustiz, mit der Waffe und ohne Rücksicht auf Verluste. Neumann ist „stolz“ auf diesen Vergleich. Gewaltfantasien hegt er keine. „Mein Schwert ist das Schwert der Gerechtigkeit“, sagt er dann, und so wurde das Hausverbot gegen ihn vom Sozialgericht gerade wieder aufgehoben.

Er wird weiterkämpfen, keine Frage. Auch wenn sein Leben dabei „vor die Hunde geht“, wie er selbst sagt. Es geht ihm weniger um die 100.000 Euro, die ihm seiner Ansicht nach noch zustehen oder die Unfallrente von erhofften 600, vielleicht 700 Euro im Monat. Sondern um die Gerechtigkeit. „Ich muss das aufklären!“ Und vorher: wird Herr Neumann auch nicht zur Ruhe kommen.  JAN ZIER