: Das Schnur-Syndrom
■ betr.: taz vom 27.3., Kommentar
Betr.: taz, 27. 3., Kommentar
Wolfgang Schnur ist zu einem Fakt - wenn sicherlich in dieser Interpretation ungewollt - in der Wen
de-Revolution geworden. Er ist ein Synonym für politisch -moralische Wendefähigkeit. Man kann die Vergangenheit mit personellen, organisatorischen, wirtschaftlichen, politischen Veränderungen - kurzum Gesellschaftssystemänderungen - nicht ins Reich des Vergessens abdrängen; wohl kann man äußere Lebensumstände revolutionieren, aber Menschen ändern sich nicht von heute auf morgen. Zum Menschen gehört seine Vergangenheit, weil sie ja Ursache seines aktuellen Seins mit all seinen Werten und Eigenschaften ist.
Die Legende vom Neubeginn des Menschen unter freiheitlichen Bedingungen ist sehr alt und jedesmal hatten sich damit Ideen der Weltverbesserung verbunden, die aber in Anbetracht der Weltlage als gescheitert betrachtet werden müssen. So bleibt letztlich die individuelle Vergangenheit des Einzelnen, deren „Aufarbeitung“ eine private, persönliche Sache ist, soweit diese Vergangenheit nicht einer strafrechtlichen Konsequenz bedarf oder aber sich jemand entschließt, sein Heil in der Politik zu suchen. Politik muß immer auch einen moralischen Anspruch erheben, dem der einzele Politiker gerecht werden muß und hier sollten wir uns wahrlich nicht die Bundesrepublik zum Vorbild nehmen.
Zum anderen scheint sich nun dieses Schnur-Syndrom zu einer Politikerkrankheit in unserem Lande zu entwickeln. Es kann nicht darum gehen, den Stab über einen Personenkreis zu brechen, denn letztlich hat die Mehrheit aktiv oder passiv unseren ehemaligen Genossen usw. das Regieren überlassen. Die Motive dafür waren und sind unterschiedlich. Jeder sollte zuerst mit sich selbst zu Gericht gehen - jedoch exponierte Vertreter des alten Systems eignen sich denkbar schlecht für eine neue Politik, ansonsten sind wir bald wieder dort, wo im Oktober der Aufbruch erfolgte.
Rene Fleck, Wurzen
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