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Archiv-Artikel

Das Schloss Bellevue ist halb fertig saniert Baustellenjournalismus

Der namensgebende schöne Blick wird dem Flaneur derzeit auf das Schloss Bellevue verwehrt. Ein lustig kinder-kunterbunt angemalter Holzzaun versperrt die Sicht. Doch auch ohne den Zaun wäre die Aussicht weniger stilvoll als einfach nur staubig. Dennoch sammelte sich gestern vor den Toren des Schlosses die Hauptstadtjournaille mit Sack und Pack, heißt mit Stativen, Kameras und Mikrofonen.

Anlass war eine Führung über die Baustelle des alten und zukünftigen Amtssitzes des Bundespräsidenten. Das Schloss Bellevue wird seit vergangenem Jahr von Grund auf saniert, in der kommenden Woche beginnen die Maler- und Putzarbeiten. Im Dezember sollen die 140 Handwerker aus- und der Bundespräsident, zumindest dienstlich, wieder einziehen. So wurden die Journalisten zur letzten Möglichkeit geladen, in offene Schächte zu schauen, über aufgerissenes Parkett zu laufen und ungebaute Rampen zu fotografieren. Und sie kamen zuhauf, im Sakko, auf schwarz polierten Stöckelschuhen und mit kunstvoller Fönfrisur.

Letztere wird schon am Eingang von den weißen Bauhelmen niedergemacht, die allen Besuchern verpasst werden. Auch die schwarzen Stöckelschuhe nehmen in der kommenden Stunde eine staubgraue Einheitsfarbe an. Dieter Kalthoff, Referatsleiter des Bundespräsidialamts, führt die viel zu groß geratene Gruppe über die Baustelle. Er erzählt gerade von den Kutschen, die nach der Erbauung des Schlosses 1786 über den Platz rollten, als ein Bagger den gesamten Journalistenpulk zum Weitergehen zwingt. Eine Baumaschine kippt laut rasselnd Steine auf den Vorplatz, zur Freude der Kameraleute, die ihre Ausrüstung tapfer in den Staub halten, und zum Ärger all derer, die ihre Mikrofone dem Referatsleiter entgegenstrecken.

Mit Sand zwischen den Zehen, der Sonne am Himmel und den strammen Bauarbeiterbäuchen vor den Augen kommt gerade ein bisschen Strandgefühl auf, als Kalthoff den Weg ins Innere des Gebäudes weist. Kaum sind alle Anwesenden über eine klapprige Holzrampe ins Schloss gestolpert, beginnt eine wahre Bauarbeitersafari. Hier ein Exemplar im Muskelshirt auf einem Gerüst. Dort ein Latzhosenarbeiter im Schacht, Fotografen und Kameraleute schießen Ansichten aus extremer Froschperspektive. Die Teenieband Boyzone schmalzt aus einem kleinen Kofferradio und die Frau von der Morgenpost fragt, ob man das denn nicht endlich mal ausstellen könnte. Die ARD-Reporterin versucht in einer Ecke gegen Boyzone, Herrn Kalthoff und die Bauarbeiter anzutelefonieren. Ein junger Mann vom Radio schlendert auf und ab und spricht in sein kleines Mikrofon. Es sieht aus, als würde er ein Abnahmeprotokoll aufnehmen.

Für Kalthoff wir es immer schwieriger, seine Baustellentouristen beisammen zu halten. Nur wenige sehen deshalb die Zeitungen aus den fünfziger Jahren, die im Ruheraum des Präsidenten die Wände zieren. Einst als Isolierung angebracht, hatte man sie mit einer Gipswand verdeckt. Die Zeitungen seien der Renner bei Baustellenführungen, erzählt Frank Brühmann vom Bau- und Projektmanagement.

Die Gruppe ist inzwischen auf der Terrasse angekommen, als ein Journalist die hohen, inzwischen grauen Stöckelschuhe seiner Kollegin entdeckt. Nun muss sie im Blitzlichtgewitter über einen schmalen Balken schaulaufen. Auch Kalthoffs Augen sind auf die Füße der Stöckelschuhfrau gerichtet, während er von der Baumchirurgie im Schlosspark spricht. Die Sichtachsen zum Park hin wurden wieder hergestellt, um dem Namen des Schlosses gerecht zu werden.

Auf dem Weg über die Rampe zurück zum Vorplatz gibt Kalthoff noch zwei Interviews. Mit einem Blick über die Schulter fragt er: „Alle raus?“ Er lächelt resigniert: „Wer noch drin ist, wird eingemauert.“ FRAUKE ADESIYAN