: Das SPD-Dreierpack wrackt ab
Ökologie muß leider draußen bleiben: Scharping, Lafontaine und Schröder stellen ein 100-Tage-Programm der SPD vor / Abwrackprämie kommt, Tempolimit fraglich ■ Aus Bonn Erwin Single
Die Troika spürt die Nähe zur Macht. Daß Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine aber nicht nur den Wunsch nach einem Wechsel wachrufen wollen, haben die drei gestern noch einmal demonstriert. Ein 100-Tage-Programm für ein „gerechtes und friedliches Deutschland“, an dem noch bis in den späten Donnerstagabend herumgefeilt wurde, soll in den letzten zwei Wochen vor der Bundestagswahl für zusätzlichen Schwung sorgen. In dem mit Spannung erwarteten, umfangreichen Maßnahmenkatalog kündigten die Sozialdemokraten für den Fall eines Wahlsieges ein „Steuersenkungsprogramm“ für die große Mehrheit der Bevölkerung, eine Arbeitsmarktoffensive und einen Kassensturz an.
Als erstes will das Schattenkabinett Scharping, wer hätte es nicht geahnt, den von der Koalition beschlossenen siebeneinhalbprozentigen Solidarzuschlag so schnell wie möglich abschaffen und durch eine zehnprozentige Ergänzungsabgabe für Bezieher von höherer Jahreseinkommen (60.000/120.000 Mark brutto) ersetzen. Auch das Kindergeld soll auf monatlich 250 Mark erhöht werden – Maßnahmen, die auf eine Entlastung der Normalverdiener und einkommenschwache Familien abzielen. Doch das ist nicht alles. Die SPD will auch eine Reihe von Sparmaßnahmen der jetzigen Regierung rückgängig machen – etwa die Kürzungen der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, das Schlechtwettergeld für Bauarbeiter und die Bafög-Bedarfssätze. Außerdem sind der Bau von 200.000 zusätzlichen Sozialwohnungen, die Stärkung von Forschung und Technologie sowie eine Investitions- und Innovationsoffensive geplant, unter anderem mit günstigeren Abschreibungsbedingungen und Zulagen für ökologische Modernisierung.
Wer allerdings große Überraschungen oder gar Wunderdinge erwartet hatte, sah sich getäuscht. So bleiben in dem Sofortprogramm zwei strittige Punkte ganz ausgespart: das Tempolimit und die ökologische Steuerreform. Für ersteres ist Gerhard Schröder zuständig, der es da mit dem Kitzbühler Fußballheiligen Beckenbauer hält: „Schau mer mal.“ Und letzteres hätte die Zahlenkür des Schattenfinanzministers wohl erheblich schwieriger gemacht, als sie ohnehin schon ist. Alles sei solide finanziert, verkündete Oskar Lafontaine, das Programm werde gegenüber der Finanzplanung der jetzigen Bundesregierung weder zu einer Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote, noch zu einer zusätzliche Nettokreditaufnahme führen.In der Regierungskoalition mag das freilich niemand so recht glauben, schließlich ist Wahlkampf. Doch Oskar Lafontaine läßt das kalt: „Nach 1990“, spielt er auf die Steuerlüge der Union an, „können wir in Anspruch nehmen, etwas seriöser zu rechnen als die amtierende Regierung.“
Doch auch Lafontaine weiß, daß alles Geld kostet. Allein das höhere Kindergeld belastet den Bund mit jährlich rund 50 Millarden Mark. Nach Lafontaines Plänen soll dies durch das heutige Kindergeld und ungerechte Kinderfreibeträge gegenfinanziert werden, die fehlenden elf Milliarden dann durch eine Begrenzung der Splittingvorteile bei Ehepaaren eintreiben. Und Solidarzuschlag oder Ergänzungsabgabe, rechnet er vor, laufe vom Aufkommen her ohnehin etwa auf das gleiche, nämlich 25 bis 26 Milliarden Mark hinaus. Ansonsten wird auf das Prinzip Hoffnung gebaut: Der Abbau unnötiger Steuersubventionen sowie eine stärkere Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug sollen die fehlenden Beträge einspielen.
Ein bißchen zaubern will aber Rudolf Scharping aber doch: In der nächsten Legislaturperiode müsse es gelingen, zwei Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Wo diese teilweise herkommen sollen, findet sich im 100-Tage-Programm: etwa 700.000 durch die bekannten ABM-Instrumente und eine Teilzeitinitiative. Für den Rest sorgen vielleicht die wiederbelebte „konzertierte Aktion“, das subventionsverdächtige „Aufbauprogramm Deutsche Einheit“, die Stärkung der Wirtschaft und der liebe Gott. Ein paar Stellen in der Autoindustrie mögen auch noch durch Schröders Abwrackprämie (1.000 Mark, wenn ein Altfahrzeug gegen einen Neuwagen mit Kat ersetzt wird) hinzukommen.
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