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„Das Risiko ist beherrschbar“

Rühe und Kinkel werben nach dem Kabinettsbeschluß weiter um Oppositionsstimmen für den „sehr maßvollen Einsatz“ der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien  ■ Aus Bonn Hans Monath

Der Ernstfall hat in Bonn eine seltsame Sprache. „Sie werden nicht hingeführt, um Krieg zu führen“, erläuterte Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) gestern nach dem Kabinettsbeschluß die Aufgaben der umstrittenen ECR- Tornados im ehemaligen Jugoslawien. Nicht etwa die nach Regierungsdarstellung in Europa einmaligen militärischen Fähigkeiten der deutschen Kampfflugzeuge pries der Minister vor Journalisten, sondern nur deren „Abschreckungswert“.

Um eine Verwischung der Gefahren beim ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr mit höchstwahrscheinlichem Kampfauftrag bemühte sich vor der Presse auch Generalinspekteur Klaus Naumann. Wie hoch ist das Risiko für die Piloten? „Es besteht nur dann, wenn sie von gegnerischem Verbänden mit Flugabwehrraketen angegriffen würden“, antwortete der höchste deutsche Offizier sibyllinisch: „Das Risiko halten wir insgesamt für beherrschbar und nicht für größer als das, das alle anderen Nato-Piloten tragen müssen.“

Zwei sich widersprechende Argumentationslinien vertraten Rühe und sein Ministerkollege Klaus Kinkel (FDP) gestern gemeinsam. Einerseits ist alles angeblich nicht so dramatisch, denn es handelt sich laut Rühe um einen „sehr maßvollen Einsatz“. Auf der anderen Seite haben die Bundeswehrsoldaten nach den Worten der Minister Anspruch auf „breite Unterstützung“ des Bundestags, denn sie „riskieren Leib und Leben“ (Kinkel). Nur in Nebensätzen klangen Risiken an.

So begründete Naumann den Aufbau des Bundeswehrlazaretts in Split unter anderem mit dem Argument, als Folge des Eingreiftruppeneinsatzes seien „mehr Verwundete möglich als bisher“.

Rühe berichtete von einer Anfrage bündnisgrüner Abgeordneter, ob er nicht vor deren Fraktion den Beschluß erläutern könne. Tatsächlich hat die Fraktionsführung den Minister nicht zur Sitzung der Abgeordneten am heutigen Dienstag gebeten. Die Festlegung auf einen von möglichst vielen Abgeordneten getragenen eigenen Entschluß gilt bei den in der Einsatz-Frage in mindestens drei Gruppen gespaltenenen Bündnisgrünen auch ohne Rühes Auftritt als schwer genug.

Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin nannte den Kabinettsbeschluß gestern eine „Blankovollmacht für den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland als Kriegspartei in Jugoslawien“. Eine weitere Eskalation des Krieges werde bewußt in Kauf genommen. Der Beschluß sei „unkonkret formuliert“ und lasse „alle Möglichkeiten für einen deutschen Kriegseintritt“ offen. Nach Trittins Meinung würde eine Zustimmung eine „Selbstentmachtung des Parlaments“ bedeuten.

PDS-Außenpolitikerin Andrea Lederer erklärte, der Bundeswehreinsatz in Ex-Jugoslawien habe unabsehbare Folgen und werde von ihrer Partei abgelehnt.

Die Sozialdemokraten wollten gestern in einer Fraktionssitzung in Berlin über den Kabinettsbeschluß beraten. Angeblich wollen rund 50 Abgeordnete, darunter die wichtigsten Außen- und Sicherheitspolitiker der Fraktion, am Freitag im Bundestag für die Entsendung der Tornados stimmen – und sich damit gegen den Beschluß des SPD- Parteivorstands und gegen Parteichef Rudolf Scharping stellen.

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