piwik no script img

Sicherheit im Alpin-SkisportDas Risiko fährt mit

Vor dem alpinen Ski-Weltcup-Auftakt am Samstag, gibt es Sicherheitsdebatten. Es geht um neue Maßnahmen. Und um Pisten und Trainingsstandards.

Schon letzte Saison ein großes Thema: schwere Unfälle, hier Weltklassefahrerin Mikaela Shiffrin Foto: Robert F. Bukaty/ap

Über den Rettenbachgletscher fegt in diesen Tagen ein Sturm hinweg. Kalt ist es geworden. Unten im Tal, in Sölden, aber erst recht oben auf dem Berg. Und Neuschnee gibt es auch. Gut möglich, dass es beim alpinen Ski-Weltcup-Auftakt am Wochenende nicht nur auf der Rennpiste und darum herum weiß ist, sondern auch unten im Ötztal nach einem Hauch von Winter aussieht. Nicht nur deshalb ist der wieder frühe Saisonstart kein großes Thema wie sonst oft in den vergangenen Jahren. Aber es gab ja auch genügend anderen Diskussionsstoff. Und damit ist in erster Linie die Sicherheit gemeint.

Begonnen hat es schon in der vergangenen Saison, als sich mit dem französischen Top-Abfahrer Cyprien Sarrazin und Mikaela Shiffrin gleich zwei Weltklasseathleten bei Stürzen schwer verletzten, dazu kamen ein paar Kreuzbandrisse, die im alpinen Rennsport fast schon üblich sind. Da hat es unter anderem Rückkehrer Marcel Hirscher und den Deutschen Alexander Schmid erwischt. Während der achtmalige Gesamtweltcupsieger aus Österreich auf den Start in Sölden verzichtet, plant Schmid am Sonntag beim Riesenslalom der Männer sein Comeback.

Aber Statements über längere Pausen oder gar Bilder von Stürzen gehören zu der Sportart schon lange wie der Schnee auf der Skipiste. Am Dienstag hat die deutsche Abfahrerin Kira Weidle-Winkelmann ein Video gepostet, wie sie beim Training ins Netz geflogen ist. Sie kam mit einem Nasenbeinbruch glimpflich davon. Ein paar Stunden später meldete der italienische Verband, dass sich die frühere Weltmeisterin Marta Bassino eine Fraktur des Scheinbeinkopfes im linken Bein zuzog und somit am Samstag beim Riesenslalom nicht starten kann.

Nachdem der Internationale Ski-Weltverband FIS im Sommer ein paar neue Sicherheitsregeln angekündigt hatte, regte sich jedoch Widerstand bei Athleten und Trainern. Nicht gegen das Tragen von schnittfester Unterwäsche, auch nicht unbedingt gegen die Airbag-Pflicht, wenngleich Karlheinz Waibel, Bundestrainer Wissenschaft im Deutschen Skiverband, findet, dass das nicht „der Kern des Problems“ sei. Ebenso wenig sind das für ihn jene Karbon-Schienbeinschoner, die die FIS nun verbietet, weil sie die Hebelwirkung verstärken und so eine schnellere Rennlinie ermöglichen. Genau diese Einlagen sorgten für Wirbel.

Debatten um Schienbeinschoner

Die FIS führte wissenschaftliche Daten an, die „ein erhöhtes Risiko bestätigen“. Der deutsche Männer-Cheftrainer Christian Schwaiger entgegnet, dass es ja nicht nur um „eine Performanceorientierung“ gehe, sondern dass es „auch ein gesundheitliches Thema“ sei. Genauer: um die von den harten Skischuhrändern gereizten Schienbeine zu schonen. Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt aus der Schweiz hatte viele Jahre mit entzündeten Unterschenkeln zu kämpfen, ehe eine orthopädische Karbonschiene Abhilfe schaffte. Dass er damit gleichzeitig mit noch mehr um Zug um die Kurve kam, hat ihn vermutlich zusätzlich motiviert.

Beim deutschen Abfahrer Luis Vogt haben diese Schienen noch einen anderen Vorteil. Der Schaft der Skischuhe sei für den großen Athleten zu kurz, sagt Schwaiger. „Aufgrund seiner Hebel braucht er eine Verlängerung, sonst kann er den Ski nicht halten.“ Dass die Kritik mittlerweile etwas leiser wurde, liegt auch an einem Schlupfloch, das die FIS ließ. Wenn der Schienbeinschutz direkt in den Skischuh integriert ist, entspricht er den Vorschriften. „Jeder wird versuchen, etwas zu finden“, sagt Schwaiger. Die meisten haben schon etwas gefunden. Odermatt sprach zuletzt von einer „guten Lösung“, für die sein Skischuhausrüster sorgte.

„Ganz sicher wird es nie sein“

Für Waibel sind die neuen Sicherheitsmaßnahmen ohnehin nur Ablenkung. Vielmehr müsse man sich Pistenpräparierung und Kurssetzung anschauen. Um die Vorgabe Geschwindigkeitskontrolle zu erfüllen, wurden vor allem in den schnellen Disziplinen in den vergangenen Jahren mehr Kurven eingebaut. „Um diese Anforderungen bestmöglich zu bewältigen“, sagt Waibel, müssen die Athleten „aggressives Material“ fahren. Seiner Meinung rühren viele Verletzungen vor allem daher. Schwaiger pflichtet Waibel bei. „Wenn die Pisten so präpariert und die Kurse so gesteckt sind, dass aggressives Material nicht schneller macht, wird es keiner mehr fahren.“

Bei der Aufarbeitung des tödlichen Trainingsunfalls von Matteo Franzoso im September in Südamerika spielten die neuen Sicherheitsregeln keine große Rolle. Der Italiener rutschte in einer Linkskurve weg, flog durch zwei Sicherheitszäune und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Athleten forderten anschließend, die Standards im Training zu erhöhen. Die seien nicht so hoch wie im Rennen, kritisiert Odermatt. Was für Waibel illusorisch ist, „weil das die Verbände nicht bezahlen können. Ganz sicher wird unser Training nie sein“, weiß Schwaiger. So wie der gesamte alpine Skisport.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare