: Das Publikum bleibt sitzen
■ Gerhard Midding und Lars-Olav Beier sprachen mit dem amerikanischen Film- und Werbedesigner Saul Bass
taz: Mr.Bass, seit Jahrzehnten arbeiten Sie als Vorspanngestalter und gleichzeitig als Werbedesginer. Gehen Sie in diesen beiden Bereichen nach ähnlichen Prinzipien vor?
Saul Bass: Ich habe als Werbegraphiker angefangen und erst später im Filmgeschäft gearbeitet. Da beide Bereiche mit visueller Gestaltung zu tun haben, scheinen sie — oberflächlich betrachtet — die gleiche Art von Sensibilität zu erfordern. Das ist aber keineswegs zwangsläufig so. Der Film ist ein zeitliches Medium, das eine Abfolge von Ereignissen beinhaltet, die Graphik ist ein räumliches Medium ohne zeitliche Entwicklung. Deshalb ist das Verhältnis des Rezipienten zum Werk in beiden Medien grundverschieden. Bei einer Graphik kann er selbst bestimmen, ob und wie lange er sie betrachtet. Er kann sie mit einem flüchtigen Blick streifen oder sich in sie versenken. Beim Film ist das Verhältnis genau umgekehrt, autoritär. Man geht ins Kino, setzt sich hin — und ist ein Gefangener. Theoretisch hat man die Möglichkeit, den Saal zu verlassen. Aber fragen Sie sich doch selbst einmal, wann Sie im Kino zuletzt vorzeitig gegangen sind, egal, was Sie von dem Film gehalten haben! Dieses große Maß an Kontrolle muß man mit einkalkulieren. Selbst wenn man Irritationen auslöst, löst man damit immer auch Emotionen aus — Wut, Langeweile, ein Gefühl der Unsicherheit. Und das Publikum bleibt sitzen.
Bei Ihren Vorspännen für die Filme von Otto Preminger haben Sie häufig mit eingängigen visuellen Motiven gearbeitet, die den Charakter eines Logos hatten und auch für die Plakate benutzt wurden. Hatten Sie von vornherein eine multifunktionale Verwendung dieser Motive im Auge?
Was ein Bild meiner Ansicht nach interessant macht, ist zum einen die Reduktion; es sollte so einfach wie möglich sein. Wenn man den Punkt der größtmöglichen Einfachheit erreicht hat, muß man ein augenfällig- provokatives Element hinzufügen, das meist in einer Metapher oder Doppeldeutigkeit besteht. So wird das Bild weitaus komplexer, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Der Zuschauer sagt anfangs: „Ach, das kenne ich ja“, doch je länger er hinschaut, desto deutlicher erkennt er die geheimen Bedeutungen, die unter der Oberfläche des Bildes verborgen sind.
Was ist der Grund dafür, daß Sie für Preminger fast ausschließlich graphische Vorspänne gestaltet haben?
Das ist nicht ganz korrekt, denn ich habe für Preminger sehr wohl auch Realfilm-Vorspänne gemacht. Generell glaube ich, daß jeder Vorspann im Dienst des nachfolgenden Films stehen sollte. Er muß mit dem korrespondieren, wovon der Film erzählt. Da jeder Film verschieden ist, muß man auf eine bestimmte, individuell angemessene Weise reagieren. Für In Harm's Way (Erster Sieg, 1965) habe ich einen reinen Realfilm-Vorspann gemacht, wir sehen Wasser, Explosionen, lauter Dinge, die mit dem Krieg im Pazifik zu tun haben. Oder bei Advise and Consent (Sturm über Washington, 1962) habe ich das reale Abbild der amerikanischen Flagge in einen graphischen Vorspann eingearbeitet.
Meinen allerersten Vorspann habe ich für Ottos Carmen Jones (1954) gemacht. Das Motiv, das ich für die Werbekampagne des Films entworfen hatte — eine schwarze Rose vor einer Flamme —, wurde dann auch zum zentralen Motiv des Vorspanns: Die Flamme fing an zu lodern. Es war also eine bewegte Graphik. Je mehr ich mich jedoch mit dem Kino auseinandersetzte, desto stärker interessierte mich der Realfilm. In den letzten Jahren habe ich für neun von zehn Filmen Realfilm- Vorspänne gemacht, nur noch selten greife ich auf Animationstechniken zurück.
Preminger bevorzugte also nicht deshalb graphische Vorspänne, weil sie einen visuellen Stil mit hohem Wiedererkennungswert ermöglichten und dem Zuschauer sofort signalisierten, daß es sich um einen Preminger-Film handelt?
Otto war ein Kunstliebhaber, ein connaisseur. Er wußte die Ästehtik graphischen Designs zu schätzen, und diese Vorliebe hat sicher mit dazu beigetragen, daß ich mich zunächst weiter in dieser Richtung entwickelte. Also, ich glaube nicht, daß Otto hierbei auf einen bestimmten Stil aus war. Wenn Sie schon nach einem Preminger-Stil suchen, dann finden Sie ihn eher in der Werbegraphik für seine Filme. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Plakat für The Man With The Golden Arm (Der Mann mit dem goldenen Arm, 1955) entwarf, herrschte in dieser Branche eine Strategie vor, die ich „see-see-see-approach“ nenne. Sämtliche Schauwerte des betreffenden Films wurden in einen Topf geworfen. Man sah Missionare, die Öl kochen, Jungfrauen, die im Tempel tanzen, den Krakatoa, der gerade ausbricht, einen Tornado, der das Meer aufwühlt, etcetera. Die Plakate waren Collagen der spektakulärsten Szenen. Dahinter steckte folgender Gedanke: Wer sich nicht für Missionare interessiert, findet an Jungfrauen Gefallen, und wen selbst die kalt lassen, der erwärmt sich zumindest beim Anblick des Krakatoa.
Der Gedanke der visuellen Reduktion, der Beschränkung auf ein einziges Motiv, das den gesamten Film repräsentieren sollte, erschien den Verleihern als sehr gefährlich und beunruhigte sie zutiefst. Mein Motivvorschlag für The Man With the Golden Arm war revolutionär. Otto hatte harte Kämpfe auszufechten, dieses Motiv, das als Aufhänger für den Film dienen und die Leute verführen sollte, ins Kino zu gehen, gegen den Willen der Produzenten und Verleiher durchzusetzen. Als das Motiv dann ein großer Erfolg war, schwammen viele Leute in diesem Fahrwasser, und die Neuerung wurde zum Gemeinplatz, zur festen Einrichtung. Heute ist es Konvention, damals war es eine Revolution.
Wann beginnen Sie mit der Arbeit am Vorspann? Haben Sie die Möglichkeit, bereits abgedrehte Teile des Films zu sehen?
Normalerweise liest man das Drehbuch, spricht mit dem Regisseur und versucht zu verstehen, wovon er erzählen will. Damit meine ich nicht nur die Geschichte, sondern auch den Subtext des Films. Die Weltanschauung, die ihm zugrunde liegt. Während der Regisseur seinen Film dreht, arbeiten wir am Vorspann. Im Zuge der Arbeit sehen wir immer wieder einzelne Sequenzen des Films. Bei Scorseses Cape Fear (1991) haben wir die erste Rolle gesehen, die letzte und noch eine Rolle aus der Mitte des Films, für die wir eine Sequenz gedreht haben. Später, als an der Musik gearbeitet wurde, haben wir weitere Ausschnitte gesehen, aber nie den ganzen Film.
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