■ Das Portrait: Kiro Gligorov
„Man kann auch leben, wenn man Verlust erleidet“, schrieb Kiro Gligorov seinen kommunistischen GenossInnen in den sechziger Jahren ins Stammbuch. Die Republik Mazedonien, zu deren Präsident der 76jährige Reformkommunist am 27. Januar 1991 gewählt wurde, ist knapp zwei Jahre nach der Unabhängigkeit von der jugoslawischen Föderation bankrott. Daran wird auch die am Montag erfolgte Aufnahme der „Früheren jugoslawischen Republik Mazedonien“ in die UNO so schnell nichts ändern.
Oberflächlich hat der 1917 im slawomazedonischen Štip geborene Kiro Gligorov eine titoistische Musterkarriere hinter sich. Während des Jura-Studiums an der Universität Belgrad engagierte er sich seit 1937 in marxistisch-revolutionären Gruppen, nach der Besetzung Jugoslawiens trat er 1941 in die Kommunistische Partei ein. Nach der Befreiung arbeitete sich Gligorov vom Sekretär des „Antifaschistischen Rates Mazedoniens“ bis zum Finanzminister der jugoslawischen Föderation hoch. Seit 1962 Mitglied des Politbüros, zählt Gligorov zu den „Architekten“ der Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre, die aus der zentral gelenkten Wirtschaft den titoistischen „Selbstverwaltungs-Sozialismus“ schufen.
Foto: H. Hagemeyer/
Transparent
Nach 13jähriger Mitgliedschaft im Präsidium des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ wurde Gligorov 1978 kaltgestellt. In Belgrad hieß es damals, der Wirtschaftsfachmann sei mit Tito wegen der ökonomischen Linie der jugoslawischen Kommunisten in Streit geraten. Tatsächlich tauchte er 1982, zwei Jahre nach dem Tod des „Alten“, mit neuen, immer mehr in Richtung Marktwirtschaft gehenden Forderungen wieder auf dem politischen Parkett auf. Wer Investitionen nur politisch, nicht aber wirtschaftlich plane, sei ein „Usurpator“, schrieb der Mittsechziger damals in der Belgrader Zeitung Politika. Gligorov verlor seinen Sitz im ZK.
Das neue, mehrheitlich antikommunistische Parlament der Republik Mazedonien wählte den mittlerweile 74jährigen 1991 zum Präsidenten der südlichsten jugoslawischen Republik. Wenige Monate später brach die jugoslawische Föderation im Krieg auseinander, und der jugoslawische Alt-Reformkommunist Gligorov rief die Unabhängigkeit des Armenhauses Jugoslawiens aus. Rüdiger Rossig
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