■ Das Portrait: Wieder verhaftet
Der chinesische Dissident Wang Dan Foto: Reuter
„Ich zähle die Zivilpolizisten schon gar nicht mehr, so viele sind es, die mir folgen, sobald ich meine Wohnung verlasse. Zu Fuß, im Auto und auf dem Motorrad heften sie sich an meine Fersen und lassen mich keine Sekunde aus den Augen. Sie folgen meinen Nachbarn. Die meisten meiner Freunde werden auf ähnliche Weise belästigt“, hat Wang Dan am Sonntag der französischen Libération am Telefon erklärt. Wenige Stunden später wurde er verhaftet.
Der 25jährige Wang Dan gehört zu den bekannteren von mindestens acht Dissidenten, die seit dem vergangenen Wochenende in China verhaftet worden sind. Drei weitere sind offenbar spurlos verschwunden.
So geschieht auch in diesem Jahr wieder, was seit 1989 schon fast makabre Routine geworden ist: Immer im Frühjahr, wenn der Jahrestag des Tiananmen-Massakers am vierten Juni näherrückt, stürmen die Herren von der Sicherheitspolizei in die Wohnungen von bekannten oder vermuteten Regimekritikern. Immer häufiger verhaften sie die Gesuchten auch von der Straße weg. Immer wieder behauptet die Polizei später – wie im Fall des vor einem Jahr abgeholten Wei Jingsheng, sie habe keine Ahnung vom Aufenthaltsort verschleppter Dissidenten.
Wang Dan war als 19jähriger Student in der Pekinger Demokratiebewegung 1989 zu internationaler Berühmtheit gelangt und als einer ihrer „Drahtzieher“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Vor zwei Jahren, als die chinesische Regierung sich noch um die Ausrichtung von Olympia 2000 bewarb, war Wang Dan vorzeitig freigelassen worden. Obwohl die Behörden ihn verwarnten, immer wieder kurzfristig festnahmen oder zum Verhör holten, verstummte er nicht.
Der junge Mann, der sein Studium nicht beenden durfte, wurde durch die ständige Kontrolle und politische Verfolgung in seiner kritischen Haltung vielmehr bestärkt. Wiederholt wandte er sich an die internationale Öffentlichkeit, um auf die Situation der politischen Gefangenen in den Knästen und Arbeitslagern aufmerksam zu machen. Erst in der vergangenen Woche unterzeichnete er gemeinsam mit 44 Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Regimekritikern eine Petition an die chinesische Führung. Ihre offenbar enorm gefährliche Forderung: die Regierung solle die chinesische Verfassung achten, mehr Demokratie zulassen und politische Reformen durchführen. Jutta Lietsch
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