piwik no script img

Das PortraitDer Umstrittene

■ Günter Ammon

In den vergangenen Jahren war es still um ihn geworden. Dabei galt der 77jährig verstorbene Berliner Wissenschaftler Günter Ammon als Begründer einer neuen Schule der Psychotherapie und in den 70er Jahren als einer der umstrittensten Psychiater in Deutschland.

Nach seinem Medizin- und Psychologiestudium in Berlin und Heidelberg wurde Ammon vor allem durch seine Ausbildungszeit in den USA geprägt. Dort forschte er von 1956 bis 1965 über Schizophrenie.

In Deutschland widmete sich Ammon den „Borderline-Erkrankungen“, Entfremdungszuständen zwischen Psychose und Neurose, die er als die seelische Störung der Gegenwart ausmachte. Im Mittelpunkt seiner Forschungen standen Gruppendynamik und Aggression, die auch in seinen Behandlungskonzepten die zentrale Rolle spielten.

Verstarb: Psychiater Günter Ammon Foto: Perl

1969 gründete Ammon in Berlin die Deutsche Akademie für Psychoanalyse (DAP). Am DAP-Institut bot er stark gruppendynamisch geprägte Ausbildungsgänge zum Psychotherapeuten an. 1979 eröffnete Ammon die Klinik für Dynamische Psychiatrie in München. Psychotisch und psychosomatisch Erkrankte und „Borderliner“ werden dort mit möglichst geringem Medikamenteneinsatz nach seinen Konzepten behandelt.

Selbst in seinem Leben zeitweise von starken Ängsten heimgesucht, galt der Psychiater in seinen Gruppentherapiesitzungen als ebenso einfühlsam wie unberechenbar. Spontane Güte wechselte mit großer Distanz. Obwohl er auch von seinen PatientInnen oftmals Gefolgschaft erwartete, war ihm eine passive Patientenrunde mit Heilserwartung ein Graus. „Ich bin auch Ihr seelischer Mülleimer, Ihre Nutte", tobte er einmal, „und dafür bin ich ganz schön billig!“

Von seinen SchülerInnen erwartete er allerdings bedingungslose Anhängerschaft bis ins Privatleben hinein, was den Kreis seiner AnhängerInnen mit den Jahren immer mehr verkleinerte. Mindestens zwei kritische Bücher wurden von Ex-PatientInnen und SchülerInnen über ihn und sein Institut geschrieben.

Ammon selbst verfaßte Werke wie „Gruppendynamik und Aggression“ und das zweibändige „Handbuch zur Dynamischen Psychiatrie“. Noch Anfang 1995 hatte sich Ammon in St. Petersburg (Rußland) habilitiert, wo er einen Lehrstuhl für Psychiatrie übernehmen sollte. Günter Ammon verstarb am Sonntag in Berlin. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen