Das Portrait: Der Dichter hatte „nichts zu sagen“
■ Helmut Heißenbüttel
Noch ein Abschied von den Kriegsteilnehmern unter den westdeutschen Literaten: Helmut Heißenbüttel, einer der sachlich-zivilsten Autoren der Bundesrepublik, war zugleich der am stärksten Gezeichnete unter ihnen. Der 1921 in Wilhelmshaven Geborene hatte im Rußlandfeldzug einen Arm eingebüßt.
Nach dem Studium der Architektur und Kunstgeschichte war er zunächst in der Werbung beschäftigt, bevor er als Schriftsteller und Rundfunkredakteur der legendären Reihe „Radio-Essay“ im SDR bekannt und einflußreich wurde.
1969 nutzte er die Verleihung des renommierten Büchner-Preises für eine kühle Provokation. „Ich habe eigentlich nichts zu sagen“, bekannte er in seiner sprachartistischen Dankesrede, eine Ungeheuerlichkeit in jenen hitzig engagierten Tagen.
Heißenbüttel ging es von Anfang an darum, die Dichtung von der weihevollen Aura des Dichterischen zu befreien. Seine literarischen Arbeiten nannte er programmatisch „Text“, „Demonstration“, „Projekt“. Montage, Zitat, Versuchsanordnung – das waren die Metaphern, mit denen man nun ans Werk ging. Dies ist meist als Anschluß an die Poetik der klassischen Moderne gedeutet worden, aber man darf wohl auch ein Bedürfnis des Kriegsteilnehmers nach einer Dichtung ohne Schwulst, auch ohne den zeittypischen Bewältigungsschwulst, vermuten.
Dabei war diese Dichtung keine indifferente Spielerei, sondern in ihrem „antigrammatischen Angriff“ auf Klischees und propagandistischen Wortmüll durchaus eine Art praktischer Ideologiekritik.
Seine Literaturauffassung wurde gegen seinen Willen als „experimentell“ gekennzeichnet. Das war ihm zu preziös und außerdem noch zu wenig offen. Lieber sprach er vom Probieren. Er probierte, was alles in eine Gedicht hineinpaßt, und das Ergebnis war: „Es gibt keine Regel, keine Vorschrift. Es gibt keine Ästhetik.“
In seinem „Projekt 3/3“ hat er auf seine Weise die Todeserfahrung umkreist: „Plötzlich, unerklärlich, unerträglich, vernichtend, ausschmelzend, mitten in dieser sonnigen Sommerlandschaft, atemberaubend, atementziehend, sinnlos der Schock der Todesangst.“
Helmut Heißenbüttel erlag am Donnerstag in Glückstadt/Schlewig-Holstein einer Lungenentzündung. Jörg Lau
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