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Das PortraitVerbrechen: Eine Unterschrift

■ Wang Dan

„Suchen Sie sich schnell einen Anwalt“, sagten die Beamten zur Familie von Wang Dan. 24 Stunden Zeit ließen Chinas Behörden den Eltern des 27jährigen chinesischen Dissidenten, um einen Verteidiger zu finden, der den Mut fand, ihren Sohn gegen eine schwere Anklage zu vertreten: „Verschwörung zum Umsturz der Regierung.“

Wang Dans Verbrechen: Er hat eine Petition für die Freilassung der politischen Gefangenen in China unterzeichnet. Gemeinsam mit anderen bekannten Regimekritikern forderte der ehemalige Geschichtsstudent im Mai 1995 die Führer der Kommunistischen Partei überdies auf, die Opfer aus der Demokratiebewegung von 1989 zu rehabilitieren.

Wang Dan selbst gehört zu deren prominentesten Aktivisten: In jenem heißen Frühjahr hatte er an der Peking- Universität „Demokratie-Salons“ organisiert, in denen Studenten und Dozenten über die Zukunft ihres Landes, die Rolle der Partei, Korruption und Vetternwirtschaft debattierten. Bald war er einer der bekanntesten Anführer der Proteste auf dem Tiananmen-Platz.

Als die Regierung den Pekinger Frühling mit Panzern beendete, stand Wang Dan ganz oben auf der Liste der „Drahtzieher der Konterrevolution“ und verschwand für vier Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung stand er vor dem Nichts: Als ehemaliger politischer Gefangener durfte Wang nicht weiterstudieren. Doch im Unterschied zu anderen Aktivisten versuchte er sein Glück nun nicht als Geschäftsmann, sondern begann ein Fernstudium an der kalifornischen Universität Berkeley.

Und er fuhr er fort – trotz aller Warnungen der Behörden –, sich politisch zu äußern. Er schrieb Artikel in ausländischen Zeitungen, gab Interviews. Wenn er nicht endlich den Mund halte, drohten ihm Polizisten einmal, würden sie ihn zu Tode prügeln.

Seit die Polizei ihn vor mehr als sechzehn Monaten abholte, durfte seine Familie ihn nur einmal sehen – Anfang dieser Woche. Seine Mutter hat einen Anwalt gefunden und will selbst als zweite Verteidigerin auftreten. Wie bei politischen Prozessen in China üblich, erfahren die Angehörigen den Gerichtstermin erst unmittelbar vor dem Prozeß. Sie glauben, daß er noch diese Woche beginnt. Wang Dan muß mit einer Gefängnisstrafe von mehr als zehn Jahren rechnen. Jutta Lietsch, Bangkok

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