Das Portrait: Der Über-Läufer hat Knausern nicht nötig
■ Haile Gebresilasie
Manche halten ihn ja für blöd. Oder stellen es zumindest zur Diskussion. „Wie nennt man einen, der einen Weltrekord um 10,91 Sekunden verbessert? Ehrfurchtsvoll den größten Athleten aller Zeiten? Oder womöglich den größten Deppen aller Zeiten?“ So fragte die taz scheinheilig am 18. August 1995 – und zählte anschließend alle ökonomischen Argumente auf, um die zweite Variante zu stärken.
In Oslo hat Haile Gebresilasie, äthiopischer Olympiasieger und Weltmeister, wieder einmal einen Weltrekord nicht bloß verbessert. 26:31,32 Minuten lief er Freitag abend über 10.000 Meter. Das ist 6,76 Sekunden schneller als es der Marokkaner Salah Hissou vergangenen August in Brüssel war. Zum Vergleich: Der deutsche Olympiasieger Dieter Baumann lief bei den nationalen Meisterschaften die 5.000 Meter in 13.19,08 Minuten. Gebresilasie hatte in Brüssel eine Durchgangszeit von 13.16,7 Minuten und lief die zweiten fünf Kilometer sogar noch schneller.
Für so einen Rekord bekommt Gebresilasie 50.000 Dollar Prämie. Deshalb kommt es schon vor, daß sein niederländischer Manager Jos Hermens vorsichtig seinen Athleten fragt, ob eine Rekordverbesserung von drei, vier Sekunden nicht auch reichen würde. Schließlich, sagte Hermens ihm, gebe es noch andere Veranstaltungen, die auch einen Weltrekord brauchen können. Wenn Gebresilasie so etwas erzählt, muß er grinsen. Und man darf raten, was ihn dabei so amüsiert. Offenbar aber wird, daß es dem 1,60 Meter kleinen Mann nicht um weitere 50.000 Dollar geht. Unter anderem hat er einen prächtig dotierten Vertrag mit Adidas.
Und: Haile denkt vielleicht einfach nicht in kleinlichen ökonomischen Zusammenhängen. Haile, das darf man ruhig noch einmal erwähnen, heißt Energie. Haile drückt sich einfach rennend aus. Und das, so gut er kann. Sollte der Kenianer Daniel Komen heute in Stockholm seinen Weltrekord über 5.000 Meter (12:44,39) brechen, ist nur eines in Gefahr: Gebresilasies WM-Start in Athen. „Dann will er sich den Rekord zurückholen“, sagt Hermens. In diesem Fall: Gnade dem Rekord.
„Ich war weit weg“, hat er damals in Zürich gesagt. Man muß es akzeptieren: Mit Blödheit hat das nichts zu tun. Haile Gebresilasie hat rationales Knausern schlicht nicht nötig. pu
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