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Das PortraitDer alte Clown setzt sich zur Ruhe

■ Uwe Seeler

Liegt die Wahrheit wirklich auffem Platz? Dann hätte Uwe Seeler, der gestern in Bild seinen Rücktritt als Präsident des Hamburger SV ankündigte, mehr verdient als einen Abgesang. Immerhin wurde er bereits als 18jähriger Torschützenkönig in der Nord-Staffel der Oberliga, der damals höchsten Spielklasse. Von 1954 bis 1963 schoß er in dieser Liga in 237 Spielen 267 Tore – eine heute übermenschlich anmutende Bilanz. Sein „Stil, Fußball zu spielen“, wurde sogar „zum Sinnbild für das Wirtschaftswunder Deutschland“ – jedenfalls trompetete das der TV-Sender Premiere 1996 in einem Porträt anläßlich Seelers 60. Geburtstag.

Das Leben des Mittelstürmers verlief prima, bis er im Oktober 1995 den großen Fehler machte, sich zum Vorsitzenden des HSV küren zu lassen. De facto fungierte Seeler zwar nur als Frühstücksdirektor und Grüßaugust, die sogenannten Macher aber waren die beiden Vizepräsidenten: der Ex-Senator Volker Lange und der Hotelier Jürgen Engel. Als aber die feinen Freunde infolge großer und kleiner Affären im Mai 1997 zurücktreten mußten, schlidderte der HSV in die größte Krise seiner Geschichte. Die Mannschaft steuert seitdem Richtung zweite Bundesliga, und „Euch Uwe“, wie ihn St.- Pauli-Fans zu nennen pflegen, wirkt nun endgültig nur noch wie eine Marionette ohne Puppenspieler.

Seelers öffentliche Auftritte als Präsident erregten stets Mitleid. Während der „Ehrenspielführer“-Kollege Franz Beckenbauer, der mit dem „Dicken“ mutmaßlich gut befreundet ist, es immer irgendwie geschafft hat, seine geistige Schlichtheit mit pseudoweltmännischem Auftreten zu kaschieren, wirkte Seeler ständig wie ein alter Clown, dessen Zeit schon lange abgelaufen ist. Der Name Uwe Seeler steht inzwischen kaum mehr für grandiose Strafraumarbeit, sondern für Floskeln wie „sicherlich“, „Wer mich kennt, weiß, daß...“ oder „Ich bin lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, daß...“ Als semilegendär gilt heute sein vor Sat.1-Kameras praktizierter Griff unter die eigene Gürtellinie, ebenso sein Ausspruch: „Eine gute Demokratie braucht auch ein bißchen Diktatur.“ Ähnlich stillos auch die Umstände seiner Demissionsankündigung: Ausgerechnet die Bild-Zeitung erfuhr es als erste. Dabei ist sie eigentlich an allem schuld, denn sie hat ihn 1995 quasi ins Amt geschrieben. René Martens

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