Das Portrait: Mullah mit Meinung
■ Mohsen Kadivar
Für seine Anhänger ist es ein Akt der Inquisition. Am Dienstag verurteilte ein Teheraner Sondergericht, das ausschließlich für Kleriker zuständig ist, den schiitischen Theologen Mohsen Kadivar zu 18 Monaten Gefängnis. Der populäre Dozent und Publizist war am 27. Februar mit der Begründung verhaftet worden, er habe „Lügen verbreitet und die öffentliche Meinung gestört“. Kadivar gilt als Reformer, der – wenn auch vorsichtig – das von Revolutionsführer Chomeini entwickelte Prinzip des welajat-e faqih in Frage stellt, die Grundlage des Theokratenstaates.
Während des Prozesses wandte sich Kadivar in einem offenen Brief an Präsident Mohammad Chatami. Darin bezeichnete er das Verfahren als Versuch, „die Tore der Kritik zu verschließen, die Freiheit in Ketten zu legen und die Gedanken zu unterdrücken“. Dem Richter Mohammad Salimi hielt er vor, die Anklage beziehe sich nur auf Presseartikel und veröffentlichte politische Analysen. Der Jurist tat dies als „subjektive Sicht“ ab.
Auf einem Hügel gegenüber Kadivars Gefängnis versammelten sich Studenten mit Kerzen in den Händen und skandierten: „Meinungsfreiheit für immer!“ Dschamileh Kadivar, die Schwester des Inhaftierten, sorgte für einen Eklat, weil sie nach einer Verhandlung angeblich einem Gerichtsangestellten erklärte: „Ich habe keine einzige positive Person in diesem Gericht gesehen. Ihr seid schlimmer als die Militärgerichte des Schahs.“ Laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Irna dementierte Dschamileh Kadivar später diese, von mehreren westlichen Agenturen verbreitete Äußerung. Die Affäre ist besonders delikat, weil die bekannte Reformerin am Tag der Verhaftung ihres Bruders auf Platz drei des neugegründeten Teheraner Kommunalrates gewählt wurde. Die Wahl war eine deutliche Niederlage für Irans Konservative. Die Verhaftung Kadivars gilt auch als Schlag von dieser Seite gegen die Reformer.
Nach der Urteilsverkündung erklärte sein Anwalt, er werde gegen das Urteil protestieren und in die Berufung gehen. Laut Gesetz hat Kadivar 20 Tage Zeit, um einen entsprechenden Antrag zu stellen. Falls der scheitert, hat der Theologe zumindest einen guten Grund, um die Haft zu überstehen. Angehörigen, die ihn im Gefängnis besuchten, erklärte er: „Meine Inhaftierung ist der Preis, den wir für die Freiheit bezahlen.“ Thomas Dreger
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