Das Portrait: Kräne statt Krater
■ Hildegard Knef
Wäre sie Engländerin, längst hätten die Pet Shop Boys eine Platte mit ihr gemacht. Weil Berlin aber nicht London ist, blieb es dem Jazztrompeter Till Brönner vorbehalten, Hildegard Knef auf ihrer neuen CD musikalisch zu begleiten. So muss man es wohl nennen, denn Entscheidendes ist den Meriten, die die Knef sich als erste deutsche Chansonautorin, einzige deutsche Diva der Nachkriegszeit und „größte Sängerin ohne Stimme“ (Ella Fitzgerald) erworben hat, nicht mehr hinzuzufügen.
Immer 17 Millimeter vom Glück entfernt: Hilde Knef hat eine neue CD gemacht. Die erste seit 18 Jahren!
Foto: Schwan/ew
„17 Millimeter“ heißt das Werk, ein Remix ihrer großen Themen und eine Variation auf ihr Lebensmotiv: Immer ein paar Millimeter vom Glück entfernt, immer ganz leicht neben der Spur und zur richtigen Zeit am falschen Ort oder umgekehrt. Bereits 1946 spielte sie in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ die Trümmerfrau ein wenig zu sexy für den deutschen Durchschnittsgeschmack. Die verschämten sechseinhalb Sekunden Nacktheit in „Die Sünderin“ machten sie 1950 legendär, aber auch notorisch. Als kränkelndes, aber aufgewecktes Kriegskind mauserte sie sich vom Berliner Entlein zum Hollywood-Act, blieb aber dort – als Marlene Dietrich in spe eingekauft – eine Figur, der die Amerikaner nicht trauten: zu blond, zu herb, zu deutsch.
Wundersamerweise aber führten die vielen Rückschläge in Hilde Knefs Leben stets nur zur Entfaltung neuer Aktivitäten. Sie darf als Erfinderin der multiplen Karriere gelten, zumindest als Avantgardistin des gebastelten Lebens. Als es mit der Schauspielerei nicht so lief, wurde sie kurzerhand Songautorin. Und als ihr das kurzfristig zum Hals raushing, hatte sie eben mal einen Welterfolg mit „Der geschenkte Gaul“. Zeitweilig betrieb sie – mindestens! – drei Karrieren auf fünf Spuren, darunter auch so scheinbar Knef-fremde Aktivitäten wie Modedesign und Kunstmalerei.
Allerdings ist sie über all dem mittlerweile – nein, nicht direkt gebrechlich, aber doch ganz zart und durchsichtig geworden mit ihren 73 Jahren. Es ist etwas Testamentarisches um „17 Millimeter“. „Ich lebe unter Kränen, wo früher Krater waren“, singt Hildegard Frieda Albertine Knef zu Brönners rauchzarten Bläsereien. Wohl wahr: Das graue, ruinierte Nachkriegs-Berlin, in dem ihre Karriere begann, ist mittlerweile ästhetisch behoben. Wahrscheinlich ist der Potsdamer Platz nicht mehr der Ort für Knef-Lieder. Thomas Groß
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