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Das Mekka des Nichtstuns

Wie sonntags in der Bronx – der Yaam-Klub in Treptow / Wo übermüdete Großstadtkids relaxen und die Stadt am multikulturellsten ist  ■ Von Thorsten Schmitz

Jeden Sonntagnachmittag vollzieht sich im ödesten Winkel Treptows das gleiche Ritual. Immer von 14 bis 22 Uhr, bei Wind und Wetter. Frühaufsteher und Noch-Wache, vom Nachtleben gezeichnete Twenty-Somethings und Streetball-Fans pilgern auf Rollschuhen, Mountainbikes, Skateboards, per pedes und mit offenem Cabrio zum Get-in-Touch ins Mekka des Nichtstuns, Eichenstraße 2.

Es erwartet sie dort kein Guru, nur die süße Gewißheit, lustvoll der Faulheit zu frönen – und an einem Sonntag endlich mal was zu tun zu haben. Alle Nationen sind vertreten, nirgendwo ist Berlin so multikulturell wie an diesem Tag acht Stunden lang.

Der Platz, auf dem sich eine lauschige Mischung aus übermüdeten Szene-Menschen, internationalen Kleinfamilien, Easy-Riders und Mitgliedern der Generation X breitmacht, ist an Häßlichkeit eigentlich kaum zu überbieten. Kein einziger Baum spendet Schatten, ein mannshoher Maschendrahtzaun versperrt den ungetrübten Blick auf Spree und Osthafen, der Boden besteht aus nacktem Beton, Stühle und Tische sind Mangelware, vor den mobilen Klos bilden sich regelmäßig Schlangen. Und dafür noch Eintritt zahlen, wenn auch nur drei Mark?

Die meisten tun's. Niemanden stören diese Äußerlichkeiten, im Gegenteil. Je häßlicher, desto beschaulicher. Geleckte Vergnügungsorte hat Berlin ohnehin genug.

Jeden Sonntagnachmittag rückt Berlins Szene im Yaam-Club zusammen, und man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Yaam-Club – ein Laufsteg für Straßenmode, eine Art Kuraufenthalt für gestreßte Großstadtkids. Und ein Picknick im Grauen. Denn die drahtigen Models und Dandy- Cowboys, die Künstler und afrikanischen Flüchtlinge, die Basketballspieler und die Hippies, die Zampanos und die Geishas, die Raggamuffins und E-Werk- Überbleibsel, die bebrillten Literaten und schüchternen Studenten haben natürlich auch Appetit. Jamaikaner und Afrikaner servieren ihre Heimatspeisen zu zivilen Preisen, alles ohne multikulturelle Bekehrungsversuche. Caipirinha süffeln und Kaffee aus Nicaragua, Nutella-Waffeln futtern und Sushi, Honigmelone zum Nachtisch und ein Joint zwischendurch.

Tom Wieggenhauser, der bis vor kurzem noch den kultigen HipHop-Keller U-Club betrieb, ist der Platzwart des Yaam-Clubs im Treptower Industrierevier. Der Mann hat einen Riecher für geniale Plätze, denn bei aller Häßlichkeit hat das fußballfeldgroße Betonfeld vor allem eins: Charme.

Der Charme eines Sonntagnachmittags in der Bronx vielleicht. Nur ganz friedlich. Ein Freiluftpark zum Flirten zwischen den Nationen und unter den Geschlechtern, eine Kontaktbörse für Singles, eine Spiel„wiese“ für Kinder mit Planschbecken und Gartenschlauch, eine Open-air-Disco für U-Club-DJs und ReggaeSoundsystems.

Am schönsten ist der Yaam- Club, wenn die Sonne langsam untergeht und den Himmel in Türkis- und Blautöne färbt. Eine frische Brise fegt über den Beton, irgendwelche Lastkähne hupen, und milchige Straßenlaternen tauchen das Areal in bizarres Orange.

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