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■ Das Mainzer Koalitionsmodell sollte Schule machenLotto – live auf Sat.1

Ein paar Tage lang handelten die Freunde Kurt Beck (SPD) und Rainer Brüderle (FDP) die Bedingungen für die Fortsetzung der rot-gelben Koalition in Mainz aus. Sachprobleme? Keine. Personalprobleme? Keine. Also alles in Butter in Rheinland- Pfalz? Mitnichten. Denn der Koalitionsvertrag zwischen SPD und FDP beinhaltet einen Passus, der als Meilenstein auf dem langen Weg bundesdeutscher Politiker hin zum Ausstieg aus der Politik bezeichnet werden muß. Um in Mainz weiter den Ministerpräsidenten stellen zu können, hat die SPD eingewilligt, bei strittigen Themen das Abstimmungsverhalten der Landesregierung im Bundesrat vom einem Losentscheid abhängig zu machen.

Ob Rheinland-Pfalz etwa demnächst dem von der Bundesregierung vorgelegten Sparpaket im Bundesrat zustimmen wird oder ob sich das Land der Stimme enthält, entscheidet also Fortuna. Wer den Kürzeren zieht, Beck oder Brüderle, hat verloren. „Zukunftsgestaltung“ (Koalitionsvertrag) mit der Lostrommel. Beck mit Hasenpfote im Hosensack und Brüderle mit dem Hufeisen um den Hals am Kabinettstisch. Und falls der Streik bei den Spielbanken in Mainz rasch beendet wird, kann das Bundesratsverhalten des Landes auch am Roulettetisch entschieden werden. Beck darf selbstverständlich auf „Rot“ setzen.

Dem Irrsinn eine Gasse. Es wird nicht länger politisch gerungen um den besten Weg in die versprochene „Zukunft“, es wird gespielt mit „unserer“ Zukunft. Das Beispiel könnte Schule machen. Sollen die Gewerkschaften wegen des Sparpakets der Regierung streiken? Keine Frage mehr, die in quälend langen Gesprächen im Kanzlerbungalow entschieden werden muß. „Lottofee“ Karin Tieze-Ludwig kann am Sonnabend im Fernsehn nach der Ziehung der Lottozahlen einfach noch einmal die Lostrommel anwerfen.

Doch vielleicht ist der politische Offenbarungseid von Mainz doch nicht der vermutete Einstieg in den Ausstieg aus der Politik, sondern ein (noch) geheimes Konzept von SPD und FDP zur Bekämpfung der sogenannten Politikverdrossenheit. Nicht mehr nur alle vier Jahre wählen gehen, sondern – via Tippschein – wöchentlich mitspielen und gewinnen. Grüner Filz an den Kabinettstischen, Bundesratsentscheidungen in Mainz live auf Sat.1 – und Millionen mit dem Politlottoschein vor der Glotze. Deutschland, einig Zockerland. Klaus-Peter Klingelschmitt

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